Fünf Jahre Hartz-IV-Gesetze: "Neoliberaler Holzweg"

Fünf Jahre Agenda 2010: Während die einen die höhere "Suchintensität" der Arbeitslosen loben, sehen andere auch Schattenseiten - etwa die Angst vor dem sozialem Absturz.

Und wer kriegt das größte Stück vom Kuchen? Bild: dpa

BERLIN taz Wer wissen wollte, wie unterschiedlich politische Vorhaben bewertet werden können, der musste sich am Donnerstag die Statements zum fünfjährigen Jubiläum der "Agenda 2010" anhören. Während das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) die "deutlich positive" Wirkung der Reformen durch die Hartz-Gesetze bejubelte, beklagte der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) die wachsende "Spaltung der Gesellschaft".

Vor fünf Jahren, am 13. März 2003, hielt Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) vor dem Bundestag seine berühmt-berüchtigte Rede, in der er massive soziale Leistungskürzungen ankündigte und "Eigenverantwortung" und "mehr Eigenleistung von jedem Einzelnen" forderte.

Was folgte, waren Rentenkürzungen, höhere Gesundheitsausgaben der BürgerInnen und die mit heißer Nadel gestrickten Hartz-Gesetze. So wurde Älteren die Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes I gekürzt - inzwischen teilweise rückgängig gemacht. Vor allem aber wurden Arbeitslosen- und Sozialhilfe zum Arbeitslosengeld II, auch "Hartz IV" genannt, zusammengelegt.

Die Arbeitsmarktentwicklung zeige, dass die Agenda 2010 auf dem zentralen Feld des Arbeitsmarktes positiv gewirkt habe, erklärte DIW-Präsident Klaus Zimmermann. "Deshalb sollte der eingeschlagene Kurs beibehalten und nicht Teile der Reform aus kurzsichtigen Erwägungen zurückgenommen werden."

Das DIW berief sich auf Daten, nach denen der prozentuale Anteil der Langzeitarbeitslosen an allen Joblosen im Vergleich zu früheren Konjunkturzyklen im gegenwärtigen Aufschwung besonders stark gesunken sei. Da man dies weder auf die Konjunktur noch auf das Ausmaß der aktiven Arbeitsmarktpolitik zurückführen könne, liege es "nahe, dass die Arbeitsmarktreformen der Agenda 2010 dafür verantwortlich sind", heißt es in dem am Donnerstag vorgelegten DIW-Papier von Zimmermann und Karl Brenke. "Offenkundig hat die Orientierung hin zu einem verstärkten ,Fordern' Wirkung gezeigt." Untersuchungen belegten eine steigende "Suchintensität" der Arbeitslosen.

DGB-Chef Michael Sommer sah dies erwartungsgemäß anders. "Millionen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer" hätten wegen Hartz IV "Angst vor Arbeitslosigkeit und sozialem Absturz", meinte er. "Die Zumutbarkeit fast jeder Arbeit hat vielen einen bisher unvorstellbaren finanziellen und sozialen Abstieg gebracht. Die gewollte Zunahme prekärer Beschäftigung im Niedriglohnbereich und in der Leiharbeit verschlechtert die Lebenschancen der meisten Betroffenen." Nach Zahlen der Bundesagentur für Arbeit (BA) erzielen rund 1,1 Millionen Empfänger von Arbeitslosengeld II zusätzlich noch ein Einkommen aus Erwerbstätigkeit.

Diese Zahl der "aufstockenden" Geringverdiener ist in den vergangenen Jahren angewachsen. Etwa die Hälfte davon hat nach BA-Zahlen vom August 2007 nur einen Minijob mit einem Verdienst von höchstens 400 Euro. 344.000 dieser aufstockenden Erwerbstätigen erzielen ein Einkommen von mehr als 800 Euro brutto im Monat.

Doch ob die Löhne infolge der Sozialpolitik sinken, ist nicht konkret nachweisbar. Ebenso wenig wie die Behauptung von SPD-Chef Kurt Beck, dank der Agenda gebe es "beachtliche Wachstumsraten" und "eine Million" zusätzlicher Arbeitsplätze. Der Fraktionschef der Grünen, Fritz Kuhn, wählte vorsichtshalber salomonische Worte und erklärte, die Agenda 2010 biete "Licht und Schatten". Die Grünen waren maßgeblich an den Reformen beteiligt. Für den Vorsitzenden der Fraktion Die Linke, Oskar Lafontaine, ist die Agenda schlicht "fünf Jahre neoliberaler Holzweg".

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