Ausweitung der US-Finanzmarktkrise: Schüler und Kranke als Opfer

Die Krise ist längst im Alltag der US-Amerikaner angekommen. Gespart wird vor allem an den Bildungsausgaben und der Gesundheitsversorgung für Arme.

Pech gehabt: US-amerikanische Schüler. Bild: dpa

NEW YORK Die Wall Street wackelt, Kreditmärkte brechen zusammen, der Dollar fällt und fällt: Die Turbulenzen an den Finanzmärkten sorgen nicht nur in der US-Wirtschaft für Alarmstimmung. Längst haben die Folgen der Wirtschaftskrise auch den Alltag der US-Amerikaner getroffen - landesweit. Da werden Hilfsprogramme für bedürftige Rentner im Bundesstaat Maine gestrichen. In New Jersey sieht sich die Regierung gezwungen, zahlreiche Jobs in der öffentlichen Verwaltung zu streichen. Schulen in Kalifornien sparen den Musikunterricht. In Virginia, einem der konservativsten Bundesstaaten, wenn es um brachiale Gefängnisstrafen geht, wurde der Neubau von Gefängnissen vertagt. Kentucky meldet die schlimmste Budgetkrise seiner Geschichte, weil sich ganze Branchen wie etwa die Möbelindustrie innerhalb kurzer Zeit in Billiglohnländer verzogen haben.

Die deutsche Aufsichtsbehörde für Finanzdienstleistungen, Bafin, rechnet wegen der Finanzkrise weltweit mit Verlusten von bis zu 600 Milliarden US-Dollar. Das berichtet der Spiegel in seiner neuen Ausgabe. 295 Milliarden Dollar davon hätten die Finanzindustrie bislang eingeräumt. Auf deutsche Banken entfallen davon gut 10 Prozent. Am Wochenende wurde bekannt, dass sich die Verluste der Bayerischen Landesbank verdoppeln dürften. Bayerns Ministerpräsident Günther Beckstein (CSU) räumte in einem Interview ein, die Belastungen der Bayern LB dürften von 1,9 Milliarden Euro auf rund 4 Milliarden Euro steigen. Riskante Wertpapiere im Wert von rund 20 Milliarden Euro will die Bayern LB in einer neu zu gründenden Gesellschaft auslagern, berichtet die Frankfurter Allgemeinen Zeitung. Am Donnerstag will die Bank auf ihrer Bilanzpressekonferenz dazu Stellung nehmen. Als Folge der Kreditkrise sollen die Finanzmärkte in den USA schärfer kontrolliert werden. Nach einem Bericht der New York Times will die US-Regierung der US-Notenbank das Recht zusprechen, die Branche bis hin zur internen Buchführung unter die Lupe zu nehmen. Auch in Deutschland sprach sich der Wirtschaftsweise Peter Bofinger für eine Reform der Finanzaufsicht aus. Er forderte am Wochenende, die Bafin in die Bundesbank zu integrieren. "Das Nebeneinander von zwei Regulierungsbehörden ist nicht effizient", sagte Bofinger.

Rund die Hälfte der US-Bundesstaaten jonglieren schon jetzt mit ihren zu knappen Staatsbudgets, die durch Dollarmangel aus der sinkenden Verkauf- und Unternehmensteuer sowie aus niedrigen Hauspreisen strapaziert werden. Viele US-Bundesstaaten berichten von Rekorddefiziten. Ein solches Tief hatten die Staaten zum letzten Mal 2002 erlebt, als nach den Terroranschlägen vom September 2001 und der daraufhin folgenden Rezession rund 37 Bundesstaaten ins Straucheln gerieten.

Die Mehrheit der Gouverneure reagiert auf die klaffenden Finanzlücken in ihren Budgets mit drastischen Kürzungen im Bildungsbereich sowie bei der Gesundheitsversorgung der ärmeren Bevölkerungsschichten. Bei der letzten kleinen Rezession verloren rund eine Million US-Geringverdiener ihre staatliche Gesundheitsversorgung, die Medicaid. Acht Staaten sparen bereits bei der Hochschulbildung, neun Staaten sogar bei Grundschulen und Highschools. In Kalifornien plant Gouverneur Arnold Schwarzenegger mit einem 4,4 Milliarden US-Dollar-Kürzungsplan die größten Einschnitte im Bildungswesen in der Geschichte der Westküste. Schulen reagieren bereits mit Streichung von Musik-, Kunst- und Sportunterricht, größeren Klassen und gleichzeitiger Lehrerentlassung. Solche Sparmaßnahmen treffen vor allem die Regionen der USA besonders hart, in die es eine starke Zuwanderung gibt. Besonders betroffen ist der Südwesten der USA, der seit Jahren eine Boomregion mit einem hohen Anteil an Rüstungsindustrie ist. Arizona, der Staat mit den meisten Neuzuwanderern, ächzt besonders. Hier muss der Staat jährlich eine neue Schule bauen. Doch das Landesparlament lehnt es strikt ab, dafür Kredite aufzunehmen.

Die beiden demokratischen Bewerber Hillary Clinton und Barack Obama haben unterdessen noch keine nennenswerten Vorschläge zur Regulierung der Wall Street vorgelegt. Bislang sind die Demokraten auch nicht durch Distanz zum Großkapital aufgefallen. Obama und Clinton haben große Spenden von Wall-Street-Schwergewichten wie etwa Goldman-Sachs erhalten. Die Deregulierung der Finanzbranche nahm bereits unter Bill Clinton Fahrt auf, um unter George W. Bush dann zum öffentlichen Credo zu werden. Was daraus wurde, sehen wir heute.

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