Verschobener Ludwigshafen-"Tatort": Die Zeit soll reif sein

Wegen des Brandes in Ludwigshafen wurde die Austrahlung verschoben, am Sonntag ist der "Schatten der Angst" betitelte, feinfühlige "Tatort" nun zu sehen.

Wer ist Täter, wer Opfer? "Schatten der Angst" liefert einen tiefgründigen Einblick in die Ludwigshafener Paralelgesellschaft. Bild: dpa

Es ist paradox: Je differenzierter "Tatort"-Produktionen ihr Thema angehen, desto leichter werden sie zum Gegenstand eines Eklats. So geriet ausgerechnet die Hannoveraner Episode "Wem Ehre gebührt" nach der Ausstrahlung zu Weihnachten in die Kritik, obwohl sie doch ein extrem vielschichtiges Porträt alevitischer Türken in Deutschland zeigte. Doch die hiesigen Interessenverbände liefen Sturm, weil sie ihre Glaubensgemeinschaft verunglimpft sahen. Schließlich ging es um einen Ehrenmord - auch wenn bei der Behandlung des riskanten Stoffes sämtliche Erwartungshaltungen klug unterwandert wurden.

Die Verantwortlichen des Ludwigshafener "Tatorts" handelten also im vorauseilenden Gehorsam, als sie im Februar die Folge "Schatten der Angst" aus dem Programm nehmen ließen. Kurz zuvor war in der Stadt ein von Deutschtürken bewohntes Haus in Brand geraten, rassistische Hintergründe konnten nicht ausgeschlossen werden. Man wollte die Stimmung nicht weiter aufheizen, schließlich handelt auch der SWR-"Tatort" vom Thema Ehrenmord. Noch so ein "Tatort"-Paradoxon: Unbedingt brisant muss der Krimi sein, aber es darf sich bitte niemand auf den Schlips getreten fühlen.

Zwei Monate später soll nun also die Zeit reif sein, dem Publikum den Migrantenkrimi doch noch zuzumuten. Und wie es zu erwarten war bei Regisseur Martin Eigler, der schon mit den ZDF-Ostwestkrimis "Solo für Schwarz" einen feinfühligen Umgang mit schwierigen gesellschaftspolitischen Themen bewies, sucht man auch in "Schatten der Angst" vergeblich nach Stereotypen.

Die Herangehensweise ist ähnlich der des NDR-"Tatorts": Wie Ermittlerin Lindholm im NDR wird hier Kommissarin Odenthal (Ulrike Folkerts) mit einer Kultur konfrontiert, an die sie sich erst langsam herantasten muss: Man verbrennt sich an zu heißen Teegläsern die Finger, man stößt auf Mauern aus Schweigen.

Doch auch Odenthal findet über eine junge Türkin Zugang zum Milieu: Derya (Sesede Terziyan) wurde mit einem deutschtürkischen Dönerwirt zwangsverheiratet, der sie misshandelt haben soll und nun totgefahren auf einem Parkplatz liegt. Haben türkische Gangster ihre Hände im Spiel? Oder hat Deryas Familie eingegriffen? Oder geht der Mord auf das Konto des jungen Deutschen Peter (David Rott), der mit der Türkin ein Liebesverhältnis hat?

Eine komplexe Gemengelage wird da ausgebreitet, ohne sich auf eine schauwertträchtige Milieubesichtigung einzulassen: Statt um Türkenmafia und Dönerfolklore geht es in dieser "Tatort"-Episode (Co-Autorin: Annette Bassfeld-Schepers) um Verknüpfungen zwischen im strengen Glauben erzogenen Türken und ihren deutschen Altersgenossen.

Doch es ist nicht nur diese glaubhafte "Romeo und Julia"-Geschichte, durch die "Schatten der Angst" überzeugt, sondern vor allem auch die Figur von Deryas Bruder Baris (furios wie immer: Ludwig Trepte), bei dem sich zärtliche Sorge und kulturelle Konditionierung zu einem fatalen Aktionismus verdichten: Als Chronik eines angekündigten Ehrenmordes entwickelt dieser "Tatort" eine verstörende Vielschichtigkeit. CHRISTIAN BUSS

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