piwik no script img

Verschobener Ludwigshafen-"Tatort"Die Zeit soll reif sein

Kommentar von Christian Buss

Wegen des Brandes in Ludwigshafen wurde die Austrahlung verschoben, am Sonntag ist der "Schatten der Angst" betitelte, feinfühlige "Tatort" nun zu sehen.

Wer ist Täter, wer Opfer? "Schatten der Angst" liefert einen tiefgründigen Einblick in die Ludwigshafener Paralelgesellschaft. Bild: dpa

E s ist paradox: Je differenzierter "Tatort"-Produktionen ihr Thema angehen, desto leichter werden sie zum Gegenstand eines Eklats. So geriet ausgerechnet die Hannoveraner Episode "Wem Ehre gebührt" nach der Ausstrahlung zu Weihnachten in die Kritik, obwohl sie doch ein extrem vielschichtiges Porträt alevitischer Türken in Deutschland zeigte. Doch die hiesigen Interessenverbände liefen Sturm, weil sie ihre Glaubensgemeinschaft verunglimpft sahen. Schließlich ging es um einen Ehrenmord - auch wenn bei der Behandlung des riskanten Stoffes sämtliche Erwartungshaltungen klug unterwandert wurden.

Die Verantwortlichen des Ludwigshafener "Tatorts" handelten also im vorauseilenden Gehorsam, als sie im Februar die Folge "Schatten der Angst" aus dem Programm nehmen ließen. Kurz zuvor war in der Stadt ein von Deutschtürken bewohntes Haus in Brand geraten, rassistische Hintergründe konnten nicht ausgeschlossen werden. Man wollte die Stimmung nicht weiter aufheizen, schließlich handelt auch der SWR-"Tatort" vom Thema Ehrenmord. Noch so ein "Tatort"-Paradoxon: Unbedingt brisant muss der Krimi sein, aber es darf sich bitte niemand auf den Schlips getreten fühlen.

Zwei Monate später soll nun also die Zeit reif sein, dem Publikum den Migrantenkrimi doch noch zuzumuten. Und wie es zu erwarten war bei Regisseur Martin Eigler, der schon mit den ZDF-Ostwestkrimis "Solo für Schwarz" einen feinfühligen Umgang mit schwierigen gesellschaftspolitischen Themen bewies, sucht man auch in "Schatten der Angst" vergeblich nach Stereotypen.

Die Herangehensweise ist ähnlich der des NDR-"Tatorts": Wie Ermittlerin Lindholm im NDR wird hier Kommissarin Odenthal (Ulrike Folkerts) mit einer Kultur konfrontiert, an die sie sich erst langsam herantasten muss: Man verbrennt sich an zu heißen Teegläsern die Finger, man stößt auf Mauern aus Schweigen.

Doch auch Odenthal findet über eine junge Türkin Zugang zum Milieu: Derya (Sesede Terziyan) wurde mit einem deutschtürkischen Dönerwirt zwangsverheiratet, der sie misshandelt haben soll und nun totgefahren auf einem Parkplatz liegt. Haben türkische Gangster ihre Hände im Spiel? Oder hat Deryas Familie eingegriffen? Oder geht der Mord auf das Konto des jungen Deutschen Peter (David Rott), der mit der Türkin ein Liebesverhältnis hat?

Eine komplexe Gemengelage wird da ausgebreitet, ohne sich auf eine schauwertträchtige Milieubesichtigung einzulassen: Statt um Türkenmafia und Dönerfolklore geht es in dieser "Tatort"-Episode (Co-Autorin: Annette Bassfeld-Schepers) um Verknüpfungen zwischen im strengen Glauben erzogenen Türken und ihren deutschen Altersgenossen.

Doch es ist nicht nur diese glaubhafte "Romeo und Julia"-Geschichte, durch die "Schatten der Angst" überzeugt, sondern vor allem auch die Figur von Deryas Bruder Baris (furios wie immer: Ludwig Trepte), bei dem sich zärtliche Sorge und kulturelle Konditionierung zu einem fatalen Aktionismus verdichten: Als Chronik eines angekündigten Ehrenmordes entwickelt dieser "Tatort" eine verstörende Vielschichtigkeit. CHRISTIAN BUSS

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

4 Kommentare

 / 
  • S
    s.fuchs

    Dieser Tatort spiegelt die Realität wieder und bricht damit mit einigen Tabus. In bestimmten Migrantenmilieus werden überproportional häufig Menschenrechte verletzt. Und unsere Gesellschaft hat zu lange aus falschem Respekt vor den traditionellen Gesellschaftsstrukturen solcher Einwanderer weggeschaut, obwohl deren Werteordnungen mit unserem GG kollidieren. Bei der Freiheit unserer Gesellschaft geht es nicht darum, dass jede gesellschaftl. Gruppe nach eigenen Regeln leben kann, wie sie will.

  • SS
    Simone Schneider

    bester swr-tatort seit langem, deutlich besser als der zu recht gescholtene furtwängler-film mit den aleviten. warum? keine schwerblütige schicksals-dramatik, keine zusätzlich aufgeladene problemlage durch schwangere kommissarin, kein falscher zungenschlag in punkto minderheiten, auch kein halbgares volkshoschschulkonzept (wer sind die aleviten, was unterscheidet sie von den sunniten?). statt dessen lockerer grundton, odenthal mal nicht als verquälte privatperson, witziger LKA-mann yilmaz, kleine versteckte witzchen (migrantencops als kenner der hochkultur) und die verdächtigen mal nicht als blosse typen (so ist er halt der klischee-türke) sondern als individuen mit kollektivem hintergrund aber individuellem spielraum gezeichnet. cok güzel! und bitte mehr von herrn yilmaz!

  • SS
    Simone Schneider

    Korrekt, dieser Odenthal-Tatort war wirklich ziemlich gut. Und übrigens deutlich besser als der zu Recht so gescholtene NDR-Tatort mit dem Aleviten-Thema. Bei dem waren die Aleviten ja nur deswegen Thema, weil sich die Macher offenbar Angst hatten, sich Protesten von Hardcore-Sunniten stellen zu müssen und deshalb den Weg des geringsten Widerstands gingen. Hat zwar nicht funktioniert - der Protest kam dann von den Aleviten - und hat der Glaubwürdigkeit der Geschichte auch sehr geschadet, aber egal, so funktioniert halt deutsches Fernsehen.

    Dass es auch anders geht, zeigte ausgerechnet der SWR (sonst weiss Gott nicht für Tatort-Highlights berühmt: Bodensee! Bienzle! furchtbar) mit seinem Ludwigshafen-Tatort gestern Abend. Nachdem Frau Odenthal lange Jahre vor allem durch ein verquältes Privatleben auffiel, blieb dies glücklicherweise sehr im Hintergrund, der Grundton war komisch, alle blieben locker und auch Odenthals italienischer Sidekick war richtig gut drauf. Sehr hübsch auch der quirlige LKA-Mann Yilmaz. Der verströmte eine Leichtigkeit des Ermitteln wie man sie sonst nur in wirklich guten Komödien erlebt, und dann zitieren die Migranten-Cops auch noch aus dem Mozart-Libretto, cok güzel. Gerade durch den Verzicht auf zusätzliche dramatische Aufladung wie im NDR-Tatort (Schwangerschaft der Kommissarin, Inzest, Abtreibung ja oder nein, Kopftuch etc.) wurden die Beteiligten als Individuen gezeigt. Die bekannten Klischees wurden zwar benannt und spielten eine Rolle. Gleichzeitig aber konnte man auch die Spielräume sehen, die den Einzelnen offen stehen. Durch diese Differenziertheit und die generelle Leichtigkeit des Tonfalls ist dem SWR hier ein wirklich sehenswerter Tatort gelungen. Weiter so!

  • PG
    Peter Gabriel

    Nach all dem Hype musste ich mir das natürlich auch ansehen.

    Es gibt leider reichlich Deutsche die nicht begeisteret wären, würde das Söhnchen eine türkische Freundin nach Hause bringen.

    Heiraten für eine Aufenthaltserlaubnis ist in diesem Land alltäglich.

    Und Gestrige gibt es nun wirklich in allen Kulturen und allen Ländern.

    Und, war dieser Tatort ein besonderer? Ich finde nicht.