piwik no script img

Mit tosenden FüßenTheater-Hopping

Die Deutschlandroute der "Europastraße historische Theater" verbindet zwölf traditionelle Schauspielhäuser. Sie verläuft von Rügen über Stuttgart bis zum Rhein. Geplant ist eine Verbindung von Schweden bis Italien

Die Zauberoper "Amadigi" von Georg Friedrich Händel in Bad Lauchstädt Bild: dpa

"Ich wollte, Sie hätten Lust und Muth, wenn Sie Gegenwärtiges erhalten, sich aufzumachen und nach Lauchstädt zu kommen." (Goethe an Zelter, Lauchstädt, den 22. Juli 1805)

"Mein Eigenes!", antwortet Bernd Heimühle prompt auf die Frage, welches Schauspielhaus der Europaroute das interessanteste sei. "Aber letztlich hat jedes Theater etwas für sich", räumt er ein. Heimühle ist Direktor des 1802 eröffneten Goethe-Theaters im ehemaligen Luxuskurort Bad Lauchstädt. 2003 gründete er zusammen mit Carsten Jung die Initiative Perspectiv. Diese Gesellschaft hat sich vorgenommen, "historische Theater in Europa möglichst in ihrem Urzustand zu erhalten und die Öffentlichkeit auf sie aufmerksam zu machen." Das scheint zu funktionieren: Zuspruch komme inzwischen sogar aus den USA und Kanada, sagt Heimühle. Von Putbus auf Rügen über Ludwigsburg bei Stuttgart bis Koblenz am Rhein können inzwischen 12 historische Theater auf einer Tour quer durch Deutschland besucht werden. Als "historisch" gelten nicht alle alten Schauspielhäuser, sondern vor allem diejenigen, in denen man die früheren Zeiten noch nachempfinden könne, erklärt Heimühle das Konzept.

Im Goethe-Theater in Bad Lauchstädt beispielsweise gibt es immer noch die sogenannte Trampel-Loge. Dort trafen sich die Studenten aus dem preußischen Halle, wo das Theaterspielen auf Betreiben pietistischer Kreise von 1771 bis 1806 verboten war. Sie verehrten jedoch nicht den Geheimrat Goethe, sondern den für sie revolutionären Friedrich Schiller. Beim Betreten des Volkstheaters wurde er damals "mit schmetterndem Ruf und Fussgetöse" empfangen, nachts spielten die Studenten vor seinem Fenster. Das allerdings soll den Dichter sehr gestört haben, weiß Bernd Heimühle. Das Goethe-Theater wirkt heute wie damals von außen unspektakulär und erinnert an ein gepflegtes, hellgelb gestrichenes Bürgerhaus mit grauen Fensterläden. Auch die Inneneinrichtung mit ihren spartanischen Holzbänken, die inzwischen immerhin eine Rückenlehne haben, ist schlicht.

KULTURERBE

Viele alte Theater müssen hart um Mittel für Restaurierung, Erhalt und Nutzung kämpfen. Perspectiv, die Gesellschaft der historischen Theater Europas, will dazu beitragen, dieses Kulturerbe zu erhalten. Inzwischen sind 18 europäische Länder in der Gesellschaft vertreten. Wer Mitglied ist, verpflichtet sich, sein Theater für Besucher zugänglich zu machen und kostenloses Informationsmaterial auszulegen. Der Vorstand von Perspectiv organisiert regelmäßige Kongresse und Treffen aller Mitglieder.

Finanzielle Unterstützung erhält das Projekt durch EU-Fördermittel, deren größter Teil in die Öffentlichkeitsarbeit fließt. Aber auch Gesellschaftsmitglieder wie die Vadstena Akademie aus Schweden, das britische Theatre Royal Bury St. Edmunds und die Renaissance-Stadt Sabbioneta in Italien leisten ihren Beitrag: Hier wird weniger Geld, dafür aber Arbeitszeit zur Verfügung gestellt. Auch die Theater selbst müssen einen Teil der Kosten tragen.

Die gesamte Europastraße unterteilt sich in fünf Routen: Sie bestehen jeweils aus zehn bis zwölf Theatern, die in einer guten Woche bereist werden können. Folgende Routen sollen noch zur deutschen dazukommen: die Nordische- und die Kanal-Route (ab 2008), die Italien-Route (ab 2009) und die Kaiser-Route (Termin noch offen). Dafür werden die interessantesten Schauspielhäuser einer Region ausgewählt. Liegt das Theater auch auf einer sinnvollen Reisestrecke, wird es aufgenommen. Information: www.perspectiv-online.org

Ausladend und original barock ist im Goethe-Theater nur die holzgefertigte Bühnentechnik. Diese ermöglicht einen Bühnenbildwechsel bei offenem Vorhang innerhalb von 15 Sekunden. Die Kulissen sind auf sogenannte Schlitten gespannt. Sie können in den drei "Gassen", Aussparungen im seitlichen Bühnenboden, vom Unterboden her bewegt und während der Vorstellung ausgetauscht werden. Ob Theatersommer oder Händelfestspiele, das Theater mit seinen 456 Plätzen sei immer gut besucht, versichert Heimühle.

Im Jahr 2002 feierte das Goethe-Theater seinen 200. Geburtstag. Bernd Heimühle nutzte den Anlass, um sämtliche internationalen Schauspielhäuser nach Bad Lauchstädt einzuladen. Der Zuspruch war groß. Es kam zu einem Treffen von etwa 40 Theatervertretern aus ganz Europa. Um künftig besser Erfahrungen untereinander austauschen zu können, beschloss man, gemeinsam eine Basisorganisation ins Leben zu rufen. Im September 2003 wurde die Gründung von Perspectiv im italienischen Vicenza offiziell. Dort steht das älteste der Mitgliedstheater, das 1585 erbaute Teatro Olimpico. Als Sitz der Gesellschaft entschieden sich die Mitglieder für das kleinstädtische Bad Lauchstädt.

Von Schweden bis Italien ist die Europaroute der Theater geplant. Das Projekt wird mit 190.000 Euro von der Europäischen Union gefördert. Alle Theater der Routen werden noch immer mehr oder weniger oft bespielt, was manchmal zu Konflikten zwischen Künstlern und Denkmalpflegern führt. Den "Spagat zwischen Museum und Theater" zu schaffen, gelingt nicht immer. Im Goethe-Theater gibt es damit kaum Probleme, denn es sei ein Theater "zum Anfassen", sagt Heimühle. Der Direktor kann selbst entscheiden, wie mit dem Gebäude und der Einrichtung umgegangen werden soll.

Während einer Spielpause vor dem Goethe-Theater Bild: dpa

Strengere Auflagen hat das 1769 eröffnete Schlosstheater in Potsdam Sanssouci, das auch im Verbund der historischen Theater ist. Das frühere Privattheater von Friedrich II. gehört zur Stiftung Preußische Gärten und Schlösser. Streift man durch den Schlosspark von Sanssouci, ist es kaum zu finden. Es liegt im südlichen Seitenflügel des Neuen Palais. Hier sind die Regisseure oft unangenehm überrascht, dass viele ihrer Ideen aus Denkmalschutzgründen nicht umgesetzt werden können. "Meistens findet man aber am Ende einen Kompromiss, mit dem beide Parteien leben können!", sagt Reinhard Otto, der Beleuchtungsmeister. Ein Relikt aus früheren Spielzeiten ist die noch gut erhaltene, riesige Holzhaspel im Dachgeschoss über dem Zuschauersaal. Mit ihrer Hilfe wurden die an Hanfseilen befestigten Kulissen herabgelassen und wieder hinaufgezogen. Im Gegensatz zum Lauchstädter Goethe-Theater glänzt es in Potsdam prunkvoll: 226 dunkelrote Samtsitze, der preußische Adler eingeprägt, vergoldeter Stuck, verschnörkelte Ornamente und Verzierungen an den Säulen. Ein einst mit Kerzen bestückter riesiger Kronleuchter hängt prominent über dem Zuschauerraum. Hier präsentiert sich üppigster Barock. "Nach dem Ende des Siebenjährigen Krieges wurde dies zurecht als "fanfaronnade" (Prahlerei) bezeichnet," sagt Uwe Jagsch, der Theatermeister. Zu Aufführungen, bevorzugt italienische Opern und französiches Schauspiel, saß der musikalische Friedrich II. meist direkt hinter dem Dirigenten im Zuschauerraum. Das Publikum bestand hauptsächlich aus dem Hofstaat, Gästen und der auf den 2. Rang verbannten Dienerschaft. Heute werden hier mit Vorliebe Konzerte und Opern mit historischen Instrumenten aufgeführt. Am 11. Mai 2008 ist die Premiere von "La Pastorale a Sanssouci", einem Programm des Ensembles I Confidenti, das Gestalten wie Hirten, Nymphen und Götter auf die Bühne bringt. Die Musik wurde zum Teil von Friedrich II. selbst komponiert.

Heimühles Kompagnon Carsten Jung ist Deutschlandrouten-Manager, Europa-Koordinator und Generalsekretär der Gesellschaft der historischen Theater Europas. Zum Ausbau der Europastraße reiste er Anfang des Jahres nach Rom, um sich vor Ort über den Stand der Italienroute zu informieren. Sie soll 2009 fertig sein. Er zieht erste Bilanz zur Deutschlandroute: Sie bringe "steigende Besucherzahlen und immer mehr Anfragen von interessierten Theatern, die bei dem Projekt mitmachen wollen". Noch muss die Route von jedem Reisenden selbst geplant und abgefahren werden, in Zukunft jedoch, prophezeit Jung, "wird sich sicher der ein oder andere Reiseveranstalter finden, der organisierte Touren in sein Programm aufnimmt."

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

0 Kommentare

  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!