Tiefgekühlte Kinderleichen: Die letzte Truhe
Immer wieder werden tote Säuglinge in Tiefkühltruhen gefunden. Dabei ist dieses Wohlstandsgerät ein sehr schlechtes Versteck - weil es nicht nur die Pizza, sondern auch das Verbrechen konserviert.
Wer die Tiefkühltruhe ganz nüchtern als Ding betrachtet, der hat es mit einem Gegenstand von bestürzend banaler Funktionalität zu tun. Sie ist wegen ihrer Größe kein Küchengerät. Sondern eher ein Kellergerät.
Im Juni 1999 werden im sächsischen Mühltroff drei tote Kleinkinder entdeckt.
Leise summend erfüllt sie in der Dunkelheit so unauffällig wie unablässig ihren praktischen Daseinszweck, Nahrung durch tiefe Temperaturen bis zum Tag ihres Verzehrs vor dem meistens bakteriell bedingten Verfall zu bewahren, dem in der Regel jede organische Substanz ausgesetzt ist, von Lebensmitteln bis zum Leben selbst.
2005 findet in Graz, Österreich, ein Untermieter einen Plastiksack mit einer Babyleiche, drei weitere tote Kinder tauchen später im gleichen Haus auf.
Klopft man das Ding auf seine Zeichenhaftigkeit ab, so lässt es ebenfalls nur banale Rückschlüsse auf seine Besitzer zu. Wer sich eine Tiefkühltruhe anschafft, der denkt voraus, der hat oft Familie und vielleicht auch einen Garten, dessen Früchte er dem Zahn der Zeit entzieht, indem er sie einlagert. Bis Ostern, Weihnachten, zum St.-Nimmerleins-Tag …
Im November 2006 spürt die Polizei in Sachsen-Anhalt ein totes Baby auf, zugleich wird eine Säuglingsleiche im französischen Toulouse gefunden, nur drei Wochen nach dem Fund toter Zwillinge in Seoul, Südkorea.
Und steigen nicht kontinuierlich seit Jahren, allem eifrigen TV-Gebrutzel zum Hohn, die Umsätze der Tiefkühlkostindustrie? Neulich hat eine Studie belegt, dass nur 2 Prozent aller Deutschen komplett auf Tiefgekühltes verzichten. Gefrierbrand? Eine alberne Erfindung der Frischhaltefolienmafia!
Im Februar 2006 stößt ein Mann im Keller seiner Wohnung im fränkischen Baiersdorf auf die Leiche eines neugeborenen Mädchens, ein paar Tage später ist es, diesmal in Neustrelitz, wieder ein kleines Mädchen, in Tücher und Plastikfolie verpackt, tot.
Man hat ja kaum noch Zeit, kaum noch Familie, im Fernsehen kommt "Kerners Köche" und so ne Pizza ist schnell warm gemacht. Es ist eine ganze Branche, die ein ganzes Volk ernährt - und ihre Existenz diesem Ding zu verdanken hat. Die Tiefkühltruhe ist eine Zwillingsschwester der Mikrowelle. Die eine bringt Moleküle durch Hitze rasch zum Tanzen, die andere durch Kälte nachhaltig zum Stillstand. Aber die Tiefkühltruhe ist nicht nur ein Ding. Sondern ein Ort.
Im April 2007 entdeckt ein 15-Jähriger in Erfurt die in Mülltüten verpackten Leichen von zwei Babys, drei Kinderleichen sind es im Dezember im sächsischen Plauen.
Die Tiefkühltruhe ist ein schlechtes Versteck und ein noch schlechteres Werkzeug, beispielsweise unerwünschte Kinder wirklich zum Verschwinden zu bringen. Im Gegenteil bewahrt sie auf, was nicht sein durfte, ein elektrisch betriebenes Gedächtnis. Und doch ist nur die Tiefkühltruhe ein so seltsamer Ort, dass sich das Entsetzen über die Tat und die Erinnerung daran darin offenbar dauerhaft wegschließen lassen, ohne wirklich aus der Welt zu sein. Wie auch immer man sich das versiegelte Kämmerchen der Seele ausmalen mag, in der das Bewusstsein einer so monströsen Schuld aufbewahrt wird - es muss darin eine ähnlich eisige, lebensfeindliche und doch konservierende Atmosphäre herrschen.
Im Sauerland will sich ein 18-Jähriger aus der Tiefkühltruhe im Keller seines Elternhauses eine Pizza holen. Er stellt fest, dass die meisten der Lebensmittel trotz der Minusgrade schon lange abgelaufen sind. Beim Ausmisten der Truhe findet er drei tote Geschwisterchen, Mädchen, die dort vermutlich seit den Achtzigerjahren lagerten. Unentdeckt, zuverlässig und bei mindestens -18 °C. Die 44-jährige Mutter steht unter Schock, ist nicht vernehmungsfähig. Sie habe, so die Ermittler, ihre Taten "erfolgreich verdrängt".
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