Aktion gegen betäubungslose Kastration: Folterkammer Schweinestall
22 Millionen Ferkeln werden in Deutschland jährlich ohne Betäubung die Hoden abgeschnitten. Die Aktion "Ferkelprotest.de" will eine sanftere Methode etablieren.
BERLIN taz Das Ferkel kreischt in panischer Angst, wenn der Bauer die Klinge ansetzt. Ohne jede Betäubung schneidet er mit einem Skalpell die Hoden des Tieres auf, presst den Inhalt heraus und trennt den Samenstrang des Ferkels ab. "Das ist extrem schmerzhaft für das Tier", sagt die Tierärztin Elke Deininger. Die Wunde wird desinfiziert, aber nicht genäht. Atmung und Herzschlag des Tieres rasen, manche Ferkel erbrechen nach der Tortur, mit der in Deutschland jährlich 22 Millionen männliche Ferkel kastriert werden.
Der Deutsche Tierschutzbund und Tierhalterverein Neuland wollen dieser Qual nun ein Ende setzen. Mit der Aktion "Ferkelprotest.de" starteten die beiden Organisationen am Dienstag eine Kampagne für ein EU-weites Verbot der betäubungslosen Ferkelkastration. Gleichzeitig stellten sie eine schmerzfreie Alternative vor, mit der die Ferkel nur noch unter Narkose kastriert werden. Vorbild ist die Schweiz, denn dort ist die Kastration von Ferkeln ohne Betäubung ab dem nächsten Jahr verboten. Von dort stammt auch ein neu entwickeltes Gerät, mit dem die Ferkel vor der Kastration schonend betäubt werden können. Mit Hilfe einer Inhalationsmaske atmen die Tiere das Narkosegas Isofluran ein, das auch in Krankenhäusern verwendet wird. Nach einer guten Minute sind die Tiere für kurze Zeit bewusstlos. Im Anschluss an die Operation bekommen sie ein Schmerzmittel.
Vorreiter für die schonende Kastration in Deutschland sind die Züchter von Neuland. "Wir werden ab sofort alle Ferkel nur noch betäubt kastrieren", sagte Neuland-Geschäftsführer Jochen Dettmer. Nötig bleibe die Kastration in der ersten Lebenswoche der Ferkel dennoch. Denn sonst entstehen bei den Tieren Geschlechtshormone. Die Sexuallockstoffe sorgen für den typischen Ebergeruch, der nach Mottenkugeln riecht und sich auf das Fleisch der Tiere überträgt.
Neulands 13.000 Ferkel im Jahr sind ein Anfang. Der mächtige Deutsche Bauernverband, in dem die Mehrheit der Schweinezüchter organisiert ist, steht der schonenden Kastration jedoch skeptisch gegenüber. "Das Verfahren ist noch nicht praxistauglich. Es gibt noch viele offene Fragen", sagte Michael Starp vom Bauernverband der taz. "Die Sicherheit am Arbeitsplatz muss gewährleistet sein. Außerdem ist das Betäubungsmittel ozonschädlich", sagte Starp.
Ein weiterer Grund dürften die Kosten der schmerzfreien Kastration sein. Denn laut Tierschutzgesetz muss die Betäubung von einem Tierarzt durchgeführt werden, während die Kastration vom Landwirt eigenständig durchgeführt wird. "Die schonende Kastration verteuert das Kilo Schweinefleisch insgesamt um fünf Cent", sagt Wolfgang Apel, Präsident des Tierschutzbundes.
Voraussichtlich zum gleichen Preis wird es bald eine Impfung geben, die Ferkeln die Kastration ganz erspart. "Wir erwarten für Anfang 2009 die EU-Zulassung unseres Impfstoffes, der die Hodenaktivität vollständig unterdrückt", sagte Luc Goossens vom Pharmakonzern Pfizer der taz. Das Mittel wurde vor zehn Jahren in Australien entwickelt und ist weltweit bereits in 15 Ländern im Einsatz.
Leser*innenkommentare
Die Mediocren
Gast
„Ferkel, die durch die Hölle gingen“ – hier lässt die taz die Ferkel quieken, das Skalpell blitzen und die Empörung unter den Tierfreunden wachsen. Doch, Tierhalterverein Neuland sei dank, bleibt den Schweinchen dieser Betriebe die betäubungslose Kastration zukünftig erspart.
Der Autor teilt Lob für vorbildliches Verhalten aus und zeigt Verständnis für die grundsätzliche Notwendigkeit der Kastration. Buhmann bleibt der Deutsche Bauernverband, der sanftere Eingriffe aufgrund höherer Kosten bislang ablehnt.
Die eigentliche Nachricht geht in diesem Gut-Böse-Szenario vollkommen unter. Neuland, der Gutes-Gewissen-Garant für Fleischverzehrer, der seit 20 Jahren mit seiner artgerechten und Umwelt schonenden Nutztierhaltung eine Vorreiterrolle für sich beansprucht, dieser Verein hat seine Ferkel bis zum Jahr 2008 ohne Betäubungen und Vernähung der Wunde kastriert. Kein Wort dazu vom Autor.
fuerTiere
Gast
In vielen Mastbetrieben werden die Muttersauen nach wie vor in kaum zwei Quadratmeter großen Kastenständen gehalten, damit sie ihre Ferkel nicht erdrücken. Die Stände sind so eng, daß die Sauen sich nur mühsam hinlegen und schwer aufstehen können. Umdrehen und Laufen sind ebensoweing möglich. Außerdem verletzen sich die Tiere in den engen Ständen leicht. Häufig zeigen Sauen, die ohne Einstreu gehalten werden, eine Verhaltensstörung, die als "Trauern" bezeichnet wird. Die Tiere hocken auf ihren Schenkeln und lassen den Kopf hängen. Mangelnde Bewegung führt zudem dazu, daß sich die Tiere nicht mehr fortbewegen können, und daß körperliche Schäden wie Klauen- und Gelenkverletzungen sowie Fruchtbarkeitsstörungen auftreten.
Jährlich werden mehr als 40 Millionen Schweine geschlachtet. Nur 0,4 Prozent des deutschen Schweinefleisches stammt aus Biohaltung.
bernhard wagner
Gast
'sorry, von den mindestens 2 Tippfehlern in meinem Kommentar sei wenigstens einer korrigiert.
Es sollte in meinem Kommentar "Empathie" heißen.
(nicht dass jmd. das erste, überflüssige "a" hier für ein bedeutungstragendes Morphem hält, z.B. analog einem Alpha privativum, und das Ganze missversteht oder in einem Fremdwörterbuch oder einem Lexikon zur päd. Psychol. oder dergleichen vergeblich nachschlägt ...).
bernhard wagner
Gast
Ich zähle das zu dem, was Adorno einmal das "Nachleben des Faschismus in der Demokratie" nannte, wohl wissend, dass es das schon vorher auch gab und zugleich zu den kulturanthropologischen 'Wurzeln' des Faschismus (und was an Brutalität mit ihm sonst noch alles verwandt ist) gehört, und diese 'Wurzel' heißt zu einem ganz wesentlichen Teil - und auch da stimme ich sinngemäß einem Gedanken bei Adorno weitgehend zu: Unfähigkeit zu "Identifikation", bzw. moderner gesagt: zu Emapathie.
Die menschliche Kultur hat noch einen langen Weg vor sich, bis sie sich mit dem damit implizit verbundenem Pathos "menschlich" nennen kann - was nicht heißen soll, dass es eine Garantie auf einen "Fortschritt" in diese Richtung gibt.
Ked
Gast
That's sth. like "fascism",
long times before and long times after Hitler,
even then, if one would admit a pig just 50 percent
of the emotional consciousness of a human being.
Anne
Gast
22.000.000 jedes Jahr, ohne Betäubung zu kastrieren! Das spottet echt jeder Beschreibung!
Biologisch gibt es ja wissenschaftlich gestützte Gründe anzunehmen, dass Schweine (wie auch andere "höhere Wirbeltiere" zwar in vieler Hinsicht nicht so 'intelligent' sind wie z.B. erwachsene Menschen, aber ein fast ähnlich starkes bewusstes Gefühlserleben haben. Einmal ganz bescheiden angenommen, es wäre "nur" halb so stark wie das von Menschen, wäre es also so ähnlich, als würden jährlich 11 Millionen Jungen - allein in Deutschland - ohne Betäubung zwangskastriert! Jedes Jahr, allein schon in Deutschland.
Jede/r Durchschnittsdeutsche kann das auf die Jahre und andere Länder ungefähr hochrechnen, aber genau hier liegt auch das Problem: Das kleine 1x1 zu beherrschen impliziert eben mitnichten die Fähigkeit, sich Leiden anderer Individuen vorzustellen und eine Motivation zu haben, es zu verhindern.
brede horst
Gast
Bei der Gelegenheit könnte man auch gleich das grausame betäubungslose Schächten anprangern!
Welcher TAZ-Redakteur hat dazu die "Eier"?
chw
Gast
Es gibt viele Gründe, kein Fleisch zu essen.
Der erste ist sicherlich der absolut unwürdige Umgang mit Tieren. Menschen, die Tiere nicht als Lebewesen mit Gefühlen und Psyche behandeln, degradieren sich selbst.
matthias..
Gast
Ich gönne jedem Ferkel eine schmerzfreie Kindheit. Allerdings ist mir die Thematik wie hier zu anthropomorph dargestellt. Aus landwirtschaftlicher Sicht lässt sich folgendes ergänzen:
Werden die Tiere stressfrei gehalten und jung kastriert, sind die tiere absolut ruhig. Ich finde das selbst erstaunlich, aber es ist so. Ich habe noch nie mitbekommen, dass ein Ferkel aufgrund von Wundproblemen verendet wäre - aufgrund von Narkoseschäden allerdings schon.
Zu dem Preis: Die 5 ct. erscheinen mir sehr gut gerechnet - Der Vorteil der bisherigen Methode ist doch gerade, dass das der Bauer selbst und somit auch frühzeitig genug machen kann. Und die Marktstellung der Landwirtschaft ist ja so, dass wir Bauern und Bäuerinnen nicht etwa den Preis erhöhen können dadurch, sondern selbst drauf sitzen bleiben - Der Preis wird diktiert. Das Brot wird gerade deutlich teurer, weil der Getreidepreis hoch ist (obwohl der Getreidepreis vom Brotpreis kaum wenige ct ausmacht) - Der Tierpreis aber ändert sich kaum bis gar nicht.
Die größte Ablehnung aber empfinde ich gegenüber dem Argument des Tierarzt-Monopols. Die Zeit, die in der LWS gearbeitet werden muss, um eine Tierarztrechnung zu begleichen steht in keinem Verhältnis. Dann sollen Medikamente hier und da eingesetzt werden - Wer verdient daran? Wie akzeptiert die Muttersau die taumeligen Ferkel? Werden die dadurch nicht leichter plattgelegen oder von den nicht behandelten weiblichen angegriffen?
Die Kastration ist ein kurzer Eingriff, der sorgsam erledigt, keine Probleme hinterlässt. Es gibt in den Schweineställen durchaus viel wichtigeres und für ein Schweineleben viel bedeutsameres zu tun. Denn die Haltungszustände in den Mastfabriken sollten die eigentlichen Ziele des Angriffs sein. Nur lässt sich damit kein Geld machen.
Depter
Gast
Was kommt als nächstes? Beim Schlachten muss gestreichelt werden?
Ihr Name ursula grasse
Gast
ein grund mehr, glücklicher vegetarier zu sein.
die gewissenlosig,- und skrupelhaftigkeit der Menschen scheint ohne grenzen. Wann werden solche grauen endlich ein ende haben?
Hoschi
Gast
Immer wenn ich so etwas lese, schäme ich mich Fleisch zu essen. Aber irgendwie bin ich süchtig nach den Kadavern, vor allem da ich in meiner 30 minütigen Mittagspause keine allzu große Auswahl an vegetarischen Snacks habe, außer vielleicht Falafel und Käse-Brötchen. Es ist auch ekelhaft wie für den Massenmord Zwecks verwurstung geworben wird (Mc Donalds "Ich liebe es" usw) und das man Fleisch meistens billiger kaufen kann als vegetarische Alternativen wie Soja. Es ist einfach alles nur pervers und die Tiere müssen für unsere Burger und Würste unendlich leiden.