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Paracetamol schädigt LeberSchmerzmittel im Zwielicht

Das seit Jahren frei erhältliche Schmerzmittel Paracetamol wird künftig nur noch in kleinen Packungen ausgegeben - zu hoch sind die Risiken für die Leber.

Die neusten Erkenntnisse über Paracetamol rücken Arzneimittel in ein neues Licht. Bild: dpa

Ab dem 1. Juli soll das Schmerzmittel Paracetamol, wenn mehr als zehn Gramm des Wirkstoffs in einer Packung sind, nur noch auf Rezept erhältlich sein. Dies berichtet die Bundesvereinigung deutscher Apotheker (Abda). Durch die Abgabebeschränkung solle das Risiko von Überdosierungen verringert werden, heißt es in der Begründung.

Der Patient und Apothekenkunde wundert sich. Denn Paracetamol gehört zu den Schmerzmitteln mit langer Tradition. Pharmakologisch zählt es zu den nichtopioiden Analgetika. Sie verdanken ihren Namen der Tatsache, dass sie nicht direkt Rezeptoren an Nervenzellen ansteuern, wie es bei Morphin und anderen Opioiden der Fall ist, sondern ein Enzym namens Cyclooxygenase hemmen, das eine Schlüsselrolle im Schmerz- und Entzündungsgeschehen spielt.

Auch Acetylsalicylsäure (ASS), Ibuprofen und Diclofenac gehören zu dieser Wirkstoffgruppe. Doch während diese Mittel schon länger als potenzielle Schadstoffe für Magen und Darm bekannt sind, galt Paracetamol als ausgesprochen nebenwirkungsarm, weil es die Cyclooxygenase nicht überall im Körper, sondern fast nur am zentralen Nervensystem blockiert und dadurch andere Organe wie etwa den Magen unbehelligt lässt.

In letzten Jahren häufen sich jedoch Berichte zu Nebenwirkungen. So ist Paracetamol im Osten Deutschlands erst seit 1989 verfügbar, und seitdem hat es dort eine deutliche Zunahme von Asthma und anderen allergischen Erkrankungen gegeben. "Mittlerweile haben sich die dortigen Zahlen", wie der Henning Allmers von der Universität Osnabrück herausgefunden hat, "fast an das Westniveau angeglichen." Zudem hätte sich ein deutlicher Zusammenhang zwischen der Einnahme von Paracetamol in der Spätschwangerschaft und späteren Allergien beim Kleinkind herausgeschält.

In einer Studie unter Ali Canbay vom Universitätsklinikum Essen zeigte sich Paracetamol als starker Risikofaktor für akutes Leberversagen. Der Mediziner fordert daher, dass vor der Einnahme des Schmerzmittels die Leber im Ultraschall begutachtet werden sollte.

Gerade Übergewichtige mit sogenannter Fettleber seien überdurchschnittlich oft unter den Paracetamolopfern, weil sie nicht mehr in der Lage seien, "eine Überdosierung von toxischen Medikamenten wie Paracetamol abzubauen". Die Folgen: Leberzellen sterben, und die Leber fällt zusammen, am Ende könnten die Betroffenen sogar ins Koma fallen. Hauptgrund für die aktuelle Abgabebeschränkung ist aber, dass europaweit kein Medikament häufiger zu Selbstmordversuchen verwendet wird als Paracetamol. In England wurden daher vor zehn Jahren die Packungsgröße auf 32 Tabletten à 500 Milligramm verkleinert.

Bleibt festzuhalten, dass Selbstmordversuche mit Paracetamol meistens erfolglos bleiben. Die deutschen Giftinformationszentren (GIZ) verzeichneten im Jahr 2006 einen Todesfall durch Paracetamol. Außerdem hätte es, wie GIZ-Sprecher Andreas Stürer ausführt, in den letzten Jahren "eher eine rückläufige Tendenz" der Paracetamolvergiftungen gegeben.

Darüber hinaus werden in Deutschland schon jetzt 90 Prozent aller Packungen des Schmerzmittels nur noch in 30er-Einheiten ausgegeben. Der Bundesverband der Arzneimittelhersteller hält daher eine weitere Reduzierung auf 20 Tabletten "nicht für zwingend".

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2 Kommentare

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  • M
    Mark

    Das Problem mit Paracetamol ist ein alter Hut für unsere Regierung, die Krankenkassen, Ärzte & Patienten, die dem Lesen mächtig sind!

    http://www.bukopharma.de/uploads/file/Pharma-Brief/2001_02_spezial.pdf

    Wie man Verbraucher schmerzlich in die Irre führt.

    Einige Medikamente gibt es auf Rezept, sie sind aber ebenso freiverkäuflich zu erwerben. Darf für rezeptpflichtige Medikamente in Deutschland (noch) nicht geworben werden, ist dies für freiverkäufliche Präparate erlaubt. Werbung verspricht viel und der Hinweis: „Zu Risiken und Nebenwirkungen fragen Sie Ihren Arzt oder Apotheker“ nützt oft herzlich wenig. Die Einnahme von Arzneimitteln ohne ärztliche Kontrolle und Beratung kann zu bleibenden Schäden beim Patienten führen - wie das Beispiel Thomapyrin® zeigt.

    Boehringer Ingelheim vermarktet mit Thomapyrin®13 das meistverkaufte Arzneimittel

    in Deutschland. Im Jahr 2000 waren das in der Bundesrepublik 17,6 Millionen Packungen.14 Seit mehr als 20 Jahren ist bekannt, dass die Mischung aus ASS, Paracetamol und Koffein den

    abhängigen Missbrauch induzieren und die Nieren zerstören kann. Aufgrund dessen werden 500 Menschen pro Jahr in Deutschland infolge Nierenversagens dialyseabhängig bzw. benötigen eine Nierentransplantation. 15 Es ist auffällig, dass die Aufklärung über die Risiken die Ärzteschaft in 20 Jahren erreicht hat, nicht aber die PatientInnen. Nur noch 0,5% der verkauften Packungen wird durch ÄrztInnen verordnet. Völlig unkontrolliert wird das bedenkliche Arzneimittel an die nicht aufgeklärten, sondern durch die Pharmawerbung

    desinformierten KonsumentInnen weiter vermarktet – zu deren Schaden. Selbst eine komplette Webseite unter dem Namen www.kopfschmerz.de/ betreibt die Firma, um ihren Umsatzrenner an den Mann und die Frau zu bringen (siehe Kasten). Während die Versichertengemeinschaft die Folgekosten von Dialyse und Nierentransplantationen zu tragen hat (geschätzte Kosten mindestens 500 Millionen DM pro Jahr15), bleibt dem Verursacher

    ein beträchtlicher Gewinn. Dennoch sind die VerbraucherInnen nicht völlig machtlos. Ihnen bleibt immer noch ein sehr effektives Mittel: die Verweigerung – oder falls nötig, die Auswahl weniger bedenklicher Mittel wie Acetylsalicylsäure oder Paracetamol als Einzelsubstanz. Letztlich zeigt der Fall Thomapyrin® aber auch ein klägliches Versagen der

    Arzneimittelüberwachung in Deutschland. Denn das Mittel besitzt eine gültige Zulassung und der Behörde fehlt offensichtlich der Mut, diesen Kassenschlager, der an die Nieren geht, einfach zu verbieten. (HD)

    Aus der Internetseite zu Thomapyrin:

    „Anläßlich des 50. Geburtstages des Schmerzmittel Thomapyrin und UNICEF haben sich zehn international renommierte Künstler zugunsten von UNICEF zu einem besonderen Kunstprojekt zusammengefunden. Unter dem Thema "Meine Kindheit - Schmerz und Heilung" (Kindheit steht für UNICEF,Schmerz und Heilung für Thomapyrin)erstellten sie Graphiken.“

    13 Thomapyrin® Schmerztabletten.

    Zusammensetzung: Acetylsalicylsäure 50mg, Paracetamol 200mg und Coffein 50mg

    14 Gerd Glaeske: Medikamente 2000 – Psychotrope und andere Arzneimittel mit Missbrauchs- und Abhängigkeitspotential,

    15 Brief von Prof. Dr. Peter Schönhöfer an das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) vom 7.1.2001, Brief liegt der Redaktion vor

  • BW
    bernhard wagner

    Dass der Wirkstoff die Leber belastet, ist doch längst bekannt - naja, bei vielen Leuten vielleicht immer noch nicht. Schon seit einigen Jahren muss meines Wissens ein Dosierungshinweis zusätzlich sichtbar auf die Verpackung gedruckt werden, was eine Reaktion auf einige Überdosierungen bei Kindern war. naja, es gibt Eltern, da hilt auch das nix, und es gibt Erwachsene, die durch Alkohol verursachte Kopfschmerzen mit Paracetamol bekämpfen - und spätestens mit 15 sollten alle wissen, dass auch Alkohol die Leber belastet. Im Artikel finde ich aber haaresträubend, wie zunehmende Allergien in den neuen Ländern nach '89 kausal mit Paracetamol verbunden werden. Warum nicht mit dem Bananenkonsum, was wegen der hohen Pestizideinsätze auf Bananenplantagen gar nicht einmal so abwegig wäre. Überhaupt sind neue westliche Pestizide oder vielleicht ganz andere Dinge wie Pilze (wie sie oft nicht sichtbar in Nüssen u. Nussprodukten vorkommen), z.B. bei Urtikaria (Nesselsucht) - zusammen mit Stress, der das Immunsystem schwächt. Überhaupt ist Stress selbst ein nicht zu unterschätzender Faktor, der im Kapitalismus ja zum Alltag gehört (im Unterschied etwa zu entspannteren Ländern wie z.B. Kuba).