Das liebste Bundesligateam: Die Internationalen Friedenspreisträger

Bei der 1:4-Niederlage in München fiel Hertha BSC wie in der gesamten Saison mal wieder kaum auf. Das reicht in der Bundesliga nur für Platz 10, in der Fairplay-Wertung aber für Platz 1. Deshalb darf Berlin nun ganz lieb im Uefa-Cup antreten

Saison-Statistik 2007/2008 (Vorjahresergebnis in

Klammern):

Tore: 39 (50)

Gegentore: 44 (55)

Punkte: 44 (44)

Abschlussplatz: 10 (10)

Gelbe Karten: 54 (71)

Gelb-Rote Karten: 0 (5)

Rote Karten: 0 (2)

Bester Torschützen:

Pantelic mit 13 Treffern

Stimmen zum Schluss:

"Wenn wir so offen spielen, ist das Selbstmord." Trainer Lucien Favre nach dem Spiel

in München.

"Jetzt, wo wir die Chance bekommen haben, müssen wir etwas daraus machen." Manager Dieter Hoeneß freut sich auf den fairen Uefa-Cup.

"Früher habe ich sehr gerne Fußball gespielt." Das Hertha-Idol Dalai Lama

Vier Gegentore zugelassen, na und? Die Herthaner verfolgten am letzten Spieltag bei Bayern München eine Vermeidungsstrategie ganz anderer Art. Nach körperlosem Spiel waren sie von gelben und roten Karten verschont geblieben. Damit liegen die Berliner zum Saisonende in der Bundesliga zwar nur auf Platz 10. In der Fairplay-Wertung, in die neben der Kartenstatistik auch der Respekt vor Gegner und Schiedsrichter sowie das Verhalten des Publikums mit einfließt, liegen die Berliner ganz vorne. Das bedeutet wiederum: Hertha wird in der kommenden Saison im internationalen Geschäft mitmischen. Wie der DFB am Sonntag mitteilte, dürfen die fairen Berliner in der Qualifikationsrunde des Uefa-Cups starten.

Wie man in München beobachten konnte, erleichterte der Anständigkeitswettbewerb den sanftmütigen Gästen das Verlieren ungemein. Die Bundesliga-Granden Oliver Kahn und Ottmar Hitzfeld genossen jedenfalls bei ihrem Abschied einen unbeschwerten Nachmittag.

Der ungewöhnliche Weg zu einem internationalen Startplatz ist eine weitere Bestätigung für Hertha-Manager Dieter Hoeneß, der den personellen Umbruch in der Mannschaft vor einem Jahr in die Wege geleitet hatte. Damals zählten die Berliner noch zu den schlimmsten Raubeinen der Branche. Nun bekommt der nach je 16 Ab- und Zugängen runderneuerte Kader den lukrativen Friedenspreis der Liga. Hoeneß bemerkte erst kürzlich: "Das Team hat viel mehr Charakter als im Jahr zuvor."

Allerdings spukte ihm dabei nicht die Fairnesstabelle durch den Kopf. Vor zwölf Monaten verabschiedete sich Hertha von seinem Prestigeprojekt, mit eigenem Nachwuchs ein großes Team aufzubauen, weil man bei etlichen Talenten Untugenden wie Egoismus, Geldgier und Treulosigkeit ausmachte.

Mit Trainer Lucien Favre wurde ein radikaler Verfechter des Kollektivgedankens verpflichtet, der zudem als Anhänger eines gut organisierten Offensivspiels gilt. Der Wunsch des Schweizers, sich für seine Pläne passende Spieler zusammensuchen zu dürfen, entsprach dem Willen von Hoeneß, einen personellen Neuanfang zu wagen.

Dass am Saisonende der sportliche Ertrag - 44 Punkte und fünf Tore mehr kassiert als geschossen - haargenau so wie im Vorjahr ausgefallen ist, kann man deshalb schon als Ironie des Schicksals bezeichnen. Aber angesichts der großen Fluktuation wird das Ergebnis im Verein als Erfolg gefeiert. Man hebt dabei stets den Aufwärtstrend der letzten Wochen hervor. "Es ist nicht mehr so leicht, uns zu schlagen", hat Favre unlängst festgestellt.

Favre, ein Freund des Angriffsspektakels, hat in seinem ersten Jahr die meisten Akzente in der Defensivarbeit gesetzt. Hier agierten die Berliner zuletzt mit einer taktischen Disziplin wie selten zuvor. Der Glamour blieb jedoch aus. 2:0 gegen Bochum und Duisburg, 3:1 gegen Stuttgart, höher fielen die Siege nie aus. Auf Sternstunden mussten die Fans verzichten. Der Trainer beschränkte sich auf die elementarsten Dinge. Das Hertha-Spiel war kreuzbraves Fußwerk, nicht mehr und nicht weniger. Insofern kann man das erste Jahr des noch sehr jungen Teams als gelungenes Gesellenstück bezeichnen. Das Meisterstück, die Qualifikation für den Uefa-Cup und die Champions League auf sportlichem Wege, soll wie immer bei Hertha in Kürze folgen.

Dafür müssen die Berliner in der Offensive jedoch deutlich an Kreativität gewinnen. Die Laufwege der Spieler waren meist so berechenbar wie die Route eines Postboten. Und vor allem fehlt es nach vorne an Schnelligkeit. Auffällig ist zudem die Abhängigkeit der Mannschaft von Stürmer Marko Pantelic. Ohne ihn wurde keine Partie gewonnen. Er erzielte ein Drittel aller Tore. Dies passt eigentlich gar nicht zur antiindividualistischen Philosophie von Favre. Wahrscheinlich würde der Trainer auch eher auf die Klasse von Pantelic verzichten, als auf seine extravaganten Vorstellungen beim derzeitigen Vertragspoker einzugehen. Doch Hoeneß schätzt den Serben sehr.

Bei den Planungen für die nächste Saison ist man bislang ausgerechnet im Defensivbereich am weitesten fortgeschritten. Marc Stein wird aus Rostock, und der Brasilianer Kaká vom portugiesischen Klub Academica de Coimbra kommen. Für die vordere Problemzone hingegen verpflichtete man bislang lediglich einen Zweitligaspieler: Maximilian Nicu vom SV Wehen.

Mithilfe einer geschickten Transferpolitik könnte es Favre gelingen, das Team zu mehr Eigeninitiative zu bewegen. Zumal etwa die jungen Offensivkräfte Gojko Kacar und Lukasz Piszcek sichtlich an Selbstvertrauen dazu gewonnen haben. Manager Hoeneß formuliert die Zielrichtung gewohnt dynamisch: "Dem Umbruch soll der Aufbruch folgen." Dank Fairplay drängt nur ein wenig die Zeit. Denn die erste Partie im Uefa-Cup ist bereits für Mitte Juli angesetzt.

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