Kommentar Sozialreformen: Arme entlasten

Die SPD muss schnell ein schlüssiges Konzept für Sozialreformen entwickeln. Sie hat etwas wiedergutzumachen. Die Hartz-Gesetze haben bei den Armen gekürzt, gleichzeitig wurden die Unternehmen entlastet.

Allen Bekenntnissen zum Trotz - die Sozialdemokratie hat sich im Kampf gegen Armut nicht mit Ruhm bekleckert. Sie hat mit ihrer Politik das Auseinanderdriften der Gesellschaft in Arm und Reich nicht nur zugelassen, sondern sogar aktiv befördert. Der Beleg findet sich in aktuellen sozioökonomischen Statistiken: Die korrigierende Kraft des Sozialstaates hat in den vergangenen zehn Jahren stark abgenommen, er schafft es immer weniger, Geld aus den oberen Etagen der Gesellschaft in den Keller umzuleiten.

Schuld daran sind zu einem guten Teil Reformen der rot-grünen Bundesregierung: Die Hartz-Gesetze haben bei den Armen gekürzt, gleichzeitig wurden die Unternehmen entlastet. Die Folgen dieses fatalen Zweiklangs sind im jüngst veröffentlichten Armutsbericht nachzulesen, der sich vor allem auf die rot-grüne Regierungszeit bezieht.

Ausgerechnet Sozialminister Olaf Scholz musste dieses Armutszeugnis für Rot-Grün präsentieren. Er war es, der die Beschneidung des Sozialstaats zwischen 2002 und 2004 als SPD-Generalsekretär offensiv verteidigte. Aus diesem Zusammenhang erklärt sich auch der beispiellose Eiertanz des Ministers: Indem er vor allem die Statistik zitierte, die die Situation in Deutschland beschönigt, verschleierte er eigenes Versagen.

Umso löblicher ist daher, dass nun die ersten Sozialdemokraten eine - in der Bevölkerung populäre - Senkung der Steuern als das falsche Rezept gegen Armut bezeichnen. Sozialabgaben sind in Deutschland der entscheidende Hebel, mit dem sich die Lage der Armen verbessern lässt. Beiträge für die Renten-, Kranken-, Arbeitslosen- und Pflegeversicherung belasten Niedrigstverdiener stark, während sie keine oder kaum Einkommensteuer zahlen.

Entsprechend sind die Ideen einiger Sozialdemokraten, die Sozialabgaben einer Progression zu unterwerfen, ein erfolgsversprechendes Rezept. Für solche Ideen ist es höchste Zeit. Noch kaschiert der Aufschwung die Kluft im Land, doch droht schon bald eine gegenläufige Entwicklung. Die SPD muss schnell ein schlüssiges Konzept für Sozialreformen entwickeln. Sie hat etwas wiedergutzumachen. ULRICH SCHULTE

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Ulrich Schulte, Jahrgang 1974, schrieb für die taz bis 2021 über Bundespolitik und Parteien. Er beschäftigte sich vor allem mit der SPD und den Grünen. Schulte arbeitete seit 2003 für die taz. Bevor er 2011 ins Parlamentsbüro wechselte, war er drei Jahre lang Chef des Inlands-Ressorts.

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