Medwedjew zu Besuch in Berlin: Russischer Handlungsreisender
Russlands Staatchef Medwedjew kommt als Wirtschaftsmann nach Deutschland. Er will Handelshemmnisse abbauen - und deutsche Korruption in seinem Land.
Als Russlands Präsident Dmitri Medwedjew gestern in Berlin eintraf, war dies erneut ein Beleg für die Vorzugsbehandlung für Berlin. Deutschland bleibt auch weiterhin Moskaus wichtigster Ansprechpartner in Europa. Erst fuhr der Präsident nach China - dann kam er nach Deutschland.
Mit dem Nachfolger von Wladimir Putin kam freilich eher ein Handlungsreisender denn ein Präsident. Kein Wunder, beide Länder sind wirtschaftlich eng verknüpft. Deutschland ist längst Russlands wichtigster Handelspartner, die deutsche ist in Russland mit Abstand die größte Wirtschaftsgemeinde.
"Wir verdienen in Russland gutes Geld und das vom ersten Tag an", meint ein deutscher Geschäftsmann in Moskau zufrieden. Er gehört zu den 4.300 kleinen und mittelständischen deutschen Unternehmen, die zurzeit in Russland tätig sind. Seit 2001 hat sich die Zahl der deutschen Vertretungen verdoppelt; 300 von den 4.600 Firmenniederlassungen zählen zu Großunternehmen oder Multis wie Siemens. Im Jahr 2007 betrug das Handelsvolumen 57 Milliarden Euro. Der Export nach Russland wächst mit 30 Prozent dreimal so schnell wie der deutsche Gesamtexport und reicht an den Warenverkehr mit China heran.
Die erfolgreichen deutsch-russischen Wirtschaftsbeziehungen sind für Bundeskanzlerin Angela Merkel anscheinend kein Grund, sich mit Kritik an undemokratischen Verhältnissen in Russland zurückzuhalten. Die Kanzlerin werde bei ihrem Treffen mit Präsident Medwedjew die umstrittene Situation der Rechtsordnung in Russland thematisieren, hieß es am Mittwoch.
Dabei läuft in der Wirtschaft längst nicht alles reibungslos. In einer Studie des russischen Industriellen- und Unternehmerverbandes (RIUV) von 2007 klagten 43 Prozent der Geschäftsleute, dass legales Wirtschaften in Russland kaum möglich sei - wegen der widersprüchlichen Gesetzeslage und der Korruption.
Kremlchef Medwedjew hat den Kampf gegen Korruption und Rechtsnihilismus zu einer seiner dringendsten Aufgaben erklärt. Will er erfolgreich sein, wird er jedoch nicht nur der eigenen Bürokratie ins Gewissen reden müssen. Laut der Studie sind auch ausländische Firmen in illegale Mauscheleien tief verstrickt.
In dem System aus Bestechung und Korruption scheinen sich besonders deutsche Unternehmen hervorzutun. Britische und amerikanische Firmen lassen sich dagegen kaum auf illegale Nebenpfade ein - obwohl sie ebenfalls hohe Renditen einfahren. Das meint Alex Sokolow von der Consulting Firma KPMG Russia. Der Chef von Siemens Russia, Dietrich Möller, glaubt dennoch, "dass man in Russland ein sauberes Geschäft machen kann". Allerdings zählt das Traditionsunternehmen auch in Russland nicht mehr zu den saubersten Adressen. Das Wall Street Journal veröffentlichte interne Gerichtsunterlagen, aus denen hervorgeht, dass in Russland Schmiergelder in erheblicher Höhe an Geschäftsführer russischer Staatsfirmen geflossen sind.
Die Palette des politisch-moralischen Versagens ist beträchtlich. So spielte die Deutsche Bank schon bei der Zerschlagung des Ölkonzerns Yukos eine unrühmliche Rolle. Zusammen mit der Dresdner Kleinwort Wasserstein wollte die Bank dem Gasgiganten Gasprom für den Kauf des Filetstücks des Konzerns von Michail Chodorkowski einen zweistelligen Milliardenkredit zur Verfügung stellen. Als Chodorkowski dann zu neun Jahren Lagerhaft verurteilt worden war, kommentierte das die damalige Leiterin der Delegation der deutschen Wirtschaft, Andrea von Knoop. Sie nannte das Vorgehen gegen den Oligarchen einen Schritt in Richtung Rechtsstaatlichkeit. Der Kreml bedankte sich umgehend - mit der Verleihung eines Freundschaftsordens.
Geld für Überheblichkeit
Exbundeskanzler Gerhard Schröders Sitz im Aufsichtsrat von Gasprom sorgte auch bei den EU-Nachbarn für Irritationen. Sie fürchten, der von Schröder eingefädelte Bau der Nordstream Pipeline durch die Ostsee könnte die deutsch-russische Dominanz wieder aufleben lassen. Es sieht so aus, als finanziere Deutschland die energiepolitische Überheblichkeit Russlands. Für sein Engagement wurde der Exkanzler letzte Woche zum Mitglied der Russischen Akademie der Wissenschaften berufen.
Was Kooperation bedeutet, lässt sich am Verfassungsschutzbericht 2007 ablesen. Russland baut nachrichtendienstliche Aktivitäten und Industriespionage aus - in Deutschland.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Müntefering und die K-Frage bei der SPD
Pistorius statt Scholz!
Kampf gegen die Klimakrise
Eine Hoffnung, die nicht glitzert
Altersgrenze für Führerschein
Testosteron und PS
Angeblich zu „woke“ Videospiele
Gamer:innen gegen Gendergaga
Haldenwang über Wechsel in die Politik
„Ich habe mir nichts vorzuwerfen“
Rentner beleidigt Habeck
Beleidigung hat Grenzen