Verlorenes Eröffnungsspiel gegen Kroatien: Wie Österreich die Realität umdeutet

Nach der Niederlage gegen Kroatien wähnt sich Österreich zumindest als moralischer Sieger - und lässt sich dabei auf gewagte Interpretationen ein.

Innenverteidiger Sebastian Prödl kann's nicht fassen. Bild: rtr

Wien taz Österreich ist ein Land der Erfindungen. Hier wurde das Unbewusste von Sigmund Freud entdeckt, ein Zuckerbäcker hat irgendwann einmal die Topfengolatsche erfunden, und das Würstl soll ja angeblich auch aus Wien kommen. Eine Erfindung aus der neueren Zeit ist der "moralische Sieg". Die meisten moralischen Sieger gibt es im österreichischen Fußball. Auch nach der 0:1-Niederlage gegen Kroatien taucht dieser Topos austriakischer Befindlichkeit wieder auf. Der Wiener Kurier schreibt: "Moralisch haben sich die Österreicher nichts vorzuwerfen."

Sie sind 2,2 Kilometer mehr gerannt als der Gegner, sie haben mehr Ballbesitz gehabt, 53 zu 47, und überhaupt sind sie wieder einmal krass benachteiligt worden. Einige Spieler bezweifeln, dass es sich in der 4. Minute um einen berechtigten Elfmeter gehandelt habe. Joachim Standfest kommt zu dem recht kruden Urteil: "Pfeift ein Schiri so einen Elfmeter gegen Deutschland oder Italien, dann bekommt er international lange kein Match mehr." Und Emanuel Pogatetz, der von Glück sagen kann, nicht schon in der ersten Halbzeit vom Platz gestellt worden zu sein, nörgelt: "Hätten wir nach drei Minuten auch diesen Elfmeter bekommen?" Natürlich nicht, denn Österreich wird per se geschnitten vom Mann in Schwarz.

Die harten Fakten sprechen gegen Österreich; der Gegner hat drei Punkte gewonnen und ist bestens gerüstet für die kommenden Spiele. Die weichen Faktoren allerdings, die sprechen für das Team von Trainer Josef Hickersberger: die optische Überlegenheit in der zweiten Halbzeit, die Passivität der Kroaten, das insgesamt doch recht manierliche Spiel des Gastgebers, das ein bisschen über den Erwartungen lag. Ergibt in der Summe - einen moralischen Sieg. Es ist also nur logisch, dass sich Österreich nach diesem Auftritt im Wiener Happel-Stadion noch im Rennen um die Europameisterschaft wähnt. "Wir haben gegen Polen noch eine zweite Chance", glaubt Rene Aufhauser, "nur das Quäntchen Glück hat diesmal gefehlt."

Der höchste moralische Sieg sprang übrigens gegen Deutschland heraus. Es ist nur ein paar Monate her. Das DFB-Team gewann zwar 3:0 in Wien, aber die österreichische Presse war sich einig, dass einzig und allein die Österreicher einen Erfolg für sich verbuchen konnten. Sie hatten die Piefkes mit 0:3 niedergerungen und an die Wand gespielt. Sie hatten sie bloßgestellt und beschämt. Gewiss, es war kein glorreiches Spiel der deutschen Elf, aber ihr reichten ein paar konzentrierte Minuten, um die Verhältnisse zu klären.

Wenn ein 0:3 im Land der Berge als ein Sieg gilt, dann darf man getrost davon ausgehen, dass irgendetwas nicht stimmt mit den Österreichern und ihrem Fußball. Spätestens seit dem Trauma des österreichischen Nationalteams läuft es nicht mehr rund. Im Jahre 1990 verlor die Auswahl unter Trainer Josef Hickersberger (!) mit 0:1 auf den Faröer Inseln. Der Torwart der Fähringer trug eine Zipfelmütze, und gegen die Urgewalt des Torschützen Torkil Nielsen, eines Holzhändlers, hatten die Österreicher nichts auszurichten. Immerhin: Das Spiel wurde nicht in der Rubrik moralischer Sieg eingeordnet, das wäre denn doch des Guten zu viel gewesen.

Seitdem ging es bergab mit dem Fußball in Wien, Salzburg und Graz. Die Vereine wurden Verschubmasse von Pseudo-Mäzenaten vom Schlage eines Frank Stronach. Die Tradition ging den Bach herunter und einheimische Talente hatten in den oberklassigen Klubs kaum noch eine Chance auf Einsätze, weil die Kluboberen lieber sehr billige Kicker aus dem Ausland einkauften. Erst jetzt wächst eine junge Generation nach. Die Talente heißen Ümit Korkmac oder Sebastian Prödl. Sie wollen eines nicht mehr: moralische Sieger sein.

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