Debatte Studiengebühren: Der bildungspolitische Denkfehler

Deutschland fehlt es an Hochqualifizierten. Doch anstatt die Unis sinnvoll auszustatten, klammert man sich an die Elite und baut weitere finanzielle Hürden für Studierende auf.

Erst schaffen SPD, Grüne und Linke in Hessen die Studiengebühren ab und freuen sich unbändig über ihren Wagemut. Da jedoch im Gesetz der entscheidende Satz zur Abschaffung fehlt, verweigert der geschäftsführende Ministerpräsident Roland Koch genüsslich die Unterschrift. Wenige Tage später verlautbart der Staatsgerichtshof: Gebühren sind mit der hessischen Verfassung vereinbar. Doch fünf der elf Richter sehen das anders und kritisieren die Richtermehrheit. Nächste Woche nun unternimmt die linke Mehrheit im hessischen Parlament unverdrossen einen nächsten Anlauf, die Gebühr von 500 Euro pro Semester abzuschaffen. Eigentlich kann nichts schiefgehen. Aber festlegen sollte man sich da nicht.

Wovon das machtpolitische Gewürge in Hessen ablenkt, ist die Sache, um die es geht: Nutzen Studiengebühren oder nicht? Diese Frage wird kaum mehr sachlich diskutiert. Dabei lohnt eine sorgsame Abwägung der Vorteile und Nachteile von Studiengebühren, die von 2006 an in sieben unionsregierten Bundesländern eingeführt worden sind. Und diese erlaubt nur einen Schluss: Der Schaden von Gebühren ist höher als ihr Nutzen.

Dabei geht es nicht allein um soziale Gerechtigkeit, sondern auch um die Frage: Wie ernst nimmt die Politik gesellschaftliche Großziele? In ihrem Koalitionsvertrag hat die Bundesregierung eine Zahl unmissverständlich festgeschrieben: 40 Prozent eines Jahrgangs sollen ein Studium beginnen. Mindestens. "Deutschland braucht mehr Hochqualifizierte, um den wirtschaftlichen Anforderungen der Zukunft Rechnung zu tragen", lautet die Begründung. In Deutschland stagniert die Studierendenquote aber bis heute bei kaum mehr als 35 Prozent. Zum Vergleich: Im OECD-Durchschnitt liegt sie bei rund 55 Prozent. Wie aber passen Studiengebühren zu dem Ziel, junge Menschen in Massen an die Unis zu locken?

Empirisch lässt sich zwar nicht eindeutig belegen, dass die Gebühren abschreckend wirken. Aber es gibt deutliche Hinweise. So ist in den Gebührenländern Hessen, Baden-Württemberg und Saarland die absolute Zahl der Studienanfänger 2007 zurückgegangen und in Bayern und Nordrhein-Westfalen nur minimal gestiegen - während in Ländern ohne Gebühren wie Berlin, Thüringen, Rheinland-Pfalz und Brandenburg deutlich mehr Menschen im vergangenen Jahr anfingen zu studieren.

In Baden-Württemberg hat der Studiengebühren-Beirat jüngst einen alarmierenden Bericht vorgelegt. Demnach sank die Quote der Abiturienten aus Nicht-Akademiker-Familien, die ein Studium aufnahmen, zwischen 2004 und 2006, also direkt vor der Einführung der Gebühren, um satte 12 Prozent. Bei Kindern von Akademikern blieb die Quote stabil. Das Gremium wertet dies als Hinweis auf soziale Selektion, "die durch die unmittelbar bevorstehende Einführung von Studiengebühren verstärkt worden ist".

Nun wurden Studiengebühren ja nicht grundlos eingeführt. Die deutschen Universitäten sind chronisch unterfinanziert. Dank der Gebühren sollte die Finanzmisere der Hochschulen zumindest etwas abgemildert werden. Und es stimmt ja: An zahlreichen Gebühren-Unis sind nun die Bibliotheken länger geöffnet, neue Hörsäle gebaut und zusätzliche Tutoren eingestellt worden. Aber Geld für eine grundlegende Verbesserung der Universitäten, insbesondere der Lehre, fehlt noch immer. Mehrere Milliarden Euro misst das Loch, sagen Experten. Pro Jahr. Es nutzt nichts: Um die Probleme der deutschen Hochschulen zu beseitigen, müssen die Länder und der Bund mehr investieren. Und nicht die Studierenden.

Wie es anders geht, zeigt etwa das Beispiel Schweden. Studiengebühren gibt es dort keine. Im Gegenteil: Alle Studierenden bekommen eine elternunabhängige Beihilfe in Höhe von rund 275 Euro pro Monat. Die Folge: In Schweden schaffen laut OECD knapp 40 Prozent eines Altersjahrgangs einen Hochschulabschluss - in Deutschland sind es nur rund 20 Prozent. Das liegt natürlich auch daran, dass im dreigliedrigen deutschen Schulsystem viel weniger Schüler Abitur machen können als in Skandinavien. Es liegt aber auch an fehlenden finanziellen Hürden.

Der Vergleich mit anderen Ländern hinkt immer. So kann sich Schweden seine hohen Bildungsausgaben nur leisten, weil die Bevölkerung hohe Steuern akzeptiert. Eine Art Grundeinkommen für Studierende wäre aber auch hierzulande möglich. Als Sockel für alle, der bei Studierenden aus einkommensschwachen Familien weiterhin durch ein Bafög-Darlehen aufgestockt werden könnte. Denn momentan, so hat eine Studie des Hochschul-Informations-Systems gezeigt, werden in Deutschland arme wie reiche Studenten vom Staat nahezu gleich stark unterstützt. Die vielen versteckten Zahlungen wie das Kindergeld oder Steuerbegünstigungen für die Eltern nehmen aber nur wenige wahr.

Diese indirekten Beihilfen zu streichen und eine Art Grundeinkommen für Studierende einzuführen, würde die Botschaft lancieren: Wir wollen euch! Und nicht: Geld her, dann könnt ihr kommen.

Doch die unionsregierten Länder im Westen Deutschlands orientieren sich lieber am angloamerikanischen Vorbild. Schließlich, so die Argumentation, sind die Universitäten in den USA ja nicht die schlechtesten. Trotz - oder gerade wegen - der horrenden Gebühren. Auch dieser Vergleich hinkt natürlich, denn US-amerikanische Unis haben mit Wirtschaftsunternehmen mehr gemein als mit ihren deutschen Pendants. Doch wenn schon spicken, dann richtig. Denn eines wurde in Deutschland vergessen: Parallel zu den Gebühren ein funktionierendes Stipendiensystem einzuführen, obwohl Bildungspolitiker und die Wirtschaft dies vor Einführung der Gebühren versprochen hatten. Nach wie vor erhalten in Deutschland nur rund 2 Prozent ein Stipendium. Das sind 40.000 von rund 2 Millionen Studierenden.

Eine Möglichkeit, die abschreckende Wirkung von Gebühren abzuschwächen, ist das in Hamburg von der schwarz-grünen Regierung beschlossene Modell. Dort werden in Zukunft 375 Euro Gebühren pro Semester erst nach dem Studium abkassiert. Und das auch erst ab einem Einkommen von mehr als 30.000 Euro pro Jahr. Doch auch hier könnte die Angst vor Verschuldung Kinder aus einkommensschwächeren Familien vom Studieren abhalten. Sie sind heute schon erschreckend unterrepräsentiert. Laut der aktuellen Sozialerhebung des Studentenwerks beginnen von 100 Akademikerkindern 83 ein Studium. Indessen besuchen von 100 Kindern ohne akademischen Hintergrund nur 23 eine Hochschule.

Deutlich konsequenter ist es daher, die Gebühren wieder ganz zu streichen. Denn Hürden sind das Letzte, was die deutschen Unis brauchen. Doch eines ist auch klar: Allein durch die Abschaffung von Studiengebühren werden die Hochschulen noch lange nicht wieder funktionsfähig. Und von den hessischen Polit-Kabarettisten ist in dieser Frage wohl kaum eine Lösung zu erwarten.

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Jahrgang 1979. War bis 2013 in der taz zuständig für die Themen Rechtsextremismus, Terrorismus, Sicherheit und Datenschutz. Wechsel dann ins Investigativressort der Wochenzeitung „Die Zeit“.

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