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Pädagoge über Rap im Unterricht"HipHop darf nicht die Seiten wechseln"

Bildungsphilosoph Sanders befürchtet, dass Jugendliche sich durch "Rapucation", also HipHop als Lernmittel im Unterricht, um ihre Kultur betrogen fühlen könnten.

Vorreiter der Jugendkultur Hip-Hop in Deutschland: Die fantastischen Vier. Bild: dpa

taz: Herr Sanders, Sie beschäftigen sich als Pädagoge mit Hiphop-Kultur. Gefällt Ihnen die Arbeit von Rapucation?

Olaf Sanders: Musikalisch sehr. Die Stücke sind absolut professionell produziert, und ich fühle mich gut unterhalten.

Haben Sie auch schon einen Lieblingssong?

Am besten gefällt mir "Mutter Erde". Der Flow stimmt und transportiert die Message des Umweltschutzes. Ich denke, dass Jugendliche damit viel anfangen können und es sie anspricht, weil es um ihre Zukunft geht. Da kann man viel lernen.

Und wie denken Sie über die anderen Songs?

Nehmen wir zum Beispiel "Europa". Bei diesem Stück kommen mir Bedenken. Hier werden die Länder Europas und ihre Hauptstädte aneinandergereiht, weil die Jugendlichen diese im nächsten Test können sollen.

Warum ist das nicht gut?

Schule funktioniert leider manchmal noch so, dass das "Wissen" nach dem Test schnell wieder verschwindet. Dass die Frage nach dem Sinn dieses Wissens nicht gestellt wird, widerspricht aber meinen Vorstellungen von Bildung. Einen positiven Europa-Gedanken, Eigensinn und Vielfalt, transportiert nur eine Erzählung, mit der sich die Jugendlichen identifizieren können und die an ihre alltägliche Lebenswelt anknüpft. Zum Hiphop gehören solche Erzählungen, die idealerweise Stereotype vermeiden und Bindung nicht nur über die Anrufung "unserer Heimat" herstellen.

Aber das Ziel von Rapucation ist ja gerade, Jugendlichen das Lernen schulischen Wissens zu erleichtern, indem ihre "Sprache" benutzt wird.

Genau hier sehe ich das Problem. Bei Rapucation werden auch Lehrziele anders verpackt, die womöglich hinterfragt werden müssten. Durch die gelungene Verpackung wird der wichtige Unterschied zwischen den Lehrzielen von Unterricht und den Lernzielen junger Menschen leicht überbrückt. Das ist gut gemeint - aber gerade deshalb nicht immer auch gut. Ihre Lernwiderstände könnten ja gute Gründe haben, die durch Hiphop, der in seinen besseren Phasen und Produktionen immer Ausdruck von Widerstand war, zu Wort kommen könnten. Als ernst zu nehmende Jugendkultur muss Hiphop auf der Seite der Jugendlichen stehen und darf nicht auf die der Lehrerinnen und Lehrer wechseln. Damit verriete er sich letztlich selbst.

Also ist Rapucation ein Verrat an der Jugendkultur Hiphop?

So drastisch will ich das nicht ausdrücken. Es gibt nur leichte Tendenzen in diese Richtung. Aber wenn ich mir vorstelle, einer meiner Lehrer wäre mit einer Version von Pink Floyds "Another Brick in the Wall" im Unterricht erschienen, dass als Text statt "We dont need no education / We dont need no thought control" "Durch Italien fließt der Po / Die Hauptstadt heißt Rom" enthalten hätte, hätte ich mich um meine Jugendkultur betrogen gefühlt.

Sie würden Rapucation also nicht im Unterricht einsetzen?

Doch, warum nicht? Es sollte nur bedacht werden, dass man Jugendlichen auch etwas nehmen kann, wenn man ihre Kultur als Methode oder Didaktik nutzt - also letzten Endes als Mittel und nicht als Zweck. Das ist aber kein Grund, das Bildungspotenzial von Hiphop zu verspielen. Vielleicht ließe sich Rapucation durch ein zweites Projekt ergänzen, das Jugendlichen beispielsweise durch Freestyle-Workshops ermöglicht, von der Konsumenten- wieder auf die Produzentenseite zu wechseln. Das macht Sinn.

INTERVIEW: HENDRIK EFERT

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7 Kommentare

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  • L
    Lukas

    Ich weiss nicht sorecht was ich davon halten soll. Wenn in hiphop-texten bildung vermittelt werden soll dann kann das ziemlich schnell ziemlich peinlich werden - sobald irgendwelche zweckreime eingestzt werdn müssen und das ganze ding dann irgendwie "unrund" klingt. ich denke es ist vor allem gefährlich hiphop mit "cool" gleichzusetzen, denn für ein schlechtes graffito bekommt man in der szene keinen respekt und ich denke mit einem schlechten raptext verhält es sich ähnlich und in einem lied über die hauptstädte europas ist es wahrscheinlich sehr schwer gute "punchlines", "vergleiche" oder "doppelreime" einzubringen.

    allerdings ist mir beim lesen des artikels sofort "leg dein ohr auf die schiene der geschichte" von "freundeskreis" eingefallen, von diesem lied kann ich - obwohl ich es seit jahren nicht mehr gehört habe - noch immer den text auswendig "Neunzehnhundertdreiundsiebzig Geburtsjahr wichtig für mich

    Als auch geschichtlich denn da wurd klar dass die CIA ˜ne Hure war

    Chile Attentat- viele Tote- Allende starb

    Tragisch da tragender Mann der Unidad Popular"

    ich weiss garnicht ob ich ir das ohne das lied überhaupt gemerkt hätte

  • A
    anke

    @Marco S.: Jedem Tierchen sein Pläsierchen, wie Oma zu sagen pflegte. Das reimt sich, nicht wahr, und was sich reimt ist gut. Gut, groß und wahr. Kein Mainstream also für Marco S. Auch wenn es schon fast wieder Mainstream ist, so zu reden.

  • MS
    Marco S.

    Als Hobby-Musik-Produzent, der mit Jugendlichen auch Hip-hop produziert, weiß ich: Subkultur verrät sich nicht. Sie wird allenfalls entdeckt und dann unter kommerziellen Gesichtspunkten vermarktet. Fanta vier sind das beste Beispiel und man muß sagen: Sie sind die Vorreiter des Mainstream und nicht einer Subkultur. Mir dreht sich der Magen, wenn es heißt, man könne ja alle Lehrpläne verrappen, wenn die Kohle stimmt. Hier wird der Mainstream zum Feindbild, und bestenfalls Inspiration für die Subkultur. Wenn man mir genug Geld und Marketing zur Verfügung stellt, warum sollte ich dann nicht auch perverses Zeugs rappen wie Bushido oder Sido? Es funktioniert ja! Solange bis es im breiten Stream der Nachahmer versinkt. Gut so! Meine Rapper sind auf der suche nach Größerem und Wahrerem, und es ist ihnen eigentlich egal ob der Po durch Italien oder am Arsch vorbei fließt, hauptsache kein Mainstream! Sie haben aber dennoch begriffen, daß Bildung knapp gehalten wird und man als "Gewinner" der Gesellschaft gut gebildet sein muß. Das ist der Ansporn, der Sie Abschlüsse und Studien machen läßt und die Message, die die Hip-Hop-Subkultur, meiner Meinung nach, im Moment transportiert.

  • BN
    brand nubian

    each one teach one.

  • J
    Jones

    Ich höre Rap und liebe es, seit über 10 Jahren. Dass ich Schüler war ist noch nicht so lange her, und ich kann für mich sagen, ich habe mich extrem verarscht gefühlt bei so etwas.

    Von der Bildungsbürger-Seite her, die ja auch irgendwo ein Teil von mir ist (ich bin Student), finde ich die Absicht nobel.

    Aber ernst genommen habe ich so etwas als Schüler und HipHop-Fan auf keinen Fall.

    Genauso wie damals unser Lateinlehrer mit der CD einer Band daherkam, die lateinische Texte einrappte, zum Beispiel Cäsar.

    Schön und gut, ich fand das auch irgendwo kreativ. Aber in meinem Inneren hat es mich tatsächlich abgestoßen.

    Musik und Jugendkultur funktionieren als 'Fluchtmittel', als Kontrast zur Bildungs- und realen Welt. 'Rapucation' ist gut und schön, aber man sollte nicht damit rechnen, dass ein Rapfan so etwas in seiner Freizeit konsumiert.

    Sanders' Vergleich mit 'Another Brick in the Wall' finde ich sehr passend, das ist genau das Gefühl das ich dabei hatte.

  • M
    Mikhu

    Die Jugend fühlt sich um Ihre Kultur betrogen, wenn ein Lehrer anfängt zu rappen.Dadurch fühlen sie sie sich womöglich sogar verarscht und nicht ernst genommen.Aber Rapucation wurde von Menschen aus dieser Szene gegründet, die sich seit Jahren mit diesem Lifestyle und dieser Kultur auseinandersetzen.Ich verstehe nicht was das mit Verrat zu tun haben soll.Um ehrlich zu sein, glaube ich mehr auf die Empathie 2er Menschen geben zu können, die sich in diesem Umfeld bewegen, als auf das Wort von Herrn Sanders, der meiner Meinung nach weiter weg von der Jugendkultur ist- als die Jungs von Rapucation. Wenn man sich etwas mehr mit Rapucation auseinander gesetzt hat, kann man auch nachlesen, dass diese Art von Vermittlung von Unterrichtsstoffen für die Grundschulen gedacht sind und die Testreihe von Herrn Haefs bewiesen hat, dass keiner der Kinder sich um Ihre Kultur betrogen fühlte,sondern dankbar war, für diese erfrischende Lehrweise.

  • A
    anke

    Das kommt davon, wenn man ausschließlich von sich auf andere schließt!

     

    Olaf Sanders hätte sich, behauptet er, um seine Jugendkultur betrogen gefühlt, hätten Pink Floyd den Po durch Italien fließen lassen. Und deswegen hat aus seiner Sicht Rapucation eine „leichte Tendenzen in Richtung Verrat“, und zwar unabhängig davon, was die Schüler davon halten. Ist das jetzt tatsächlich schon (Bildungs-)Philosophie? Dann muss ich wohl froh sein, dass ich kein Philosoph geworden bin. Für mich waren Lehrer nur in seltenen Ausnahmefällen Feinde, mit denen man sich keinesfalls verbrüdern durfte. Ich war nämlich neugierig auf die Welt und ich hatte immer das Gefühl, Wissen könnte nicht wirklich schaden in ihr. Mir war und mir ist es vollkommen egal, ob ich über sieben (Esels-)Brücken gehen muss für meine Informationen oder bloß über eine einzige. Über den Sinn von Wissen kann man ganz prima auch dann noch philosophieren, wenn man es bereits besitzt. Vergessen ist schließlich ein Kinderspiel.

     

    Seltsam: Bei teuren Autos fragt nie jemand, ob sie gut sind für die Umwelt. Man will sie einfach haben. Bestenfalls hat man später ein schlechtes Gewissen, wenn die Karre 12 Liter schluckt auf 100 Kilometer und entsprechend stinkt. Kann man sie dann verschrotten? Aber gewiss doch! Man muss es nur wollen.