Kommentar EU: Arroganz und Ignoranz

Nicht die Iren, sondern die Architekten des EU-Vertrags von Lissabon müssen über das negative Votum Irlands nachdenken. Denn die meisten Iren haben den Vertrag schlichtweg nicht verstanden.

Hysterie beeinträchtigt das Urteilsvermögen. Das gilt auch für die Befürworter des EU-Vertrags von Lissabon, ob in der Politik oder in den Medien. Nachdem man die Iren wegen ihrer Ablehnung des Vertrags zunächst in die Ecke gestellt und zu undankbaren Schnorrern abgestempelt hatte, verlegt man sich nun auf gönnerhafte Töne: Man müsse den Iren etwas Zeit zum Nachdenken geben, dann kommen sie schon zur Besinnung.

Nicht die Iren müssen nachdenken, sondern die Architekten des Lissabon-Vertrags, denn die Drohgebärden haben teilweise eine Trotzreaktion ausgelöst: So mancher, der für den Vertrag gestimmt hat, bereut das angesichts der Reaktionen aus dem Ausland nun und würde beim nächsten Mal wohl dagegen stimmen. Und die Rechnung, dass man den Iren in einem Zusatzprotokoll versprechen könne, Abtreibung, Prostitution und Euthanasie von ihren Küsten fern zu halten, damit sie dem Vertrag im zweiten Anlauf zustimmen, wird nicht aufgehen. Es passt zwar schön ins Klischee des trinkfesten und gottesfürchtigen Iren, doch diese Äußerungen zeugen nicht nur von Arroganz, sondern darüber hinaus von Ignoranz. Ein Blick in die von der EU-Kommission in Auftrag gegebene Studie über die Gründe für das irische Nein hätte genügt. Dort steht nämlich, dass nur ein winziger Teil, rund ein Prozent, aus ausländerfeindlichen oder katholisch-fundamentalistischen Gründen gegen den Lissabon-Vertrag gestimmt hat. Eine solche Zahl wäre wohl auch in anderen EU-Ländern zu erwarten.

Eine stärkere Rolle mit jeweils sechs Prozent spielten die Angst vor dem Verlust der Neutralität, des ständigen EU-Kommissars und der Steuerhoheit. Doch der wichtigste Grund, den mehr als ein Viertel der Wähler nannten, war die Tatsache, dass sie den Vertrag nicht verstanden haben. Niemand würde ein Zeitungsabonnement kaufen, wenn einem der Verkäufer erklärt, dass das gut für beide Seiten sei, man den Vertrag aber nicht lesen solle, da man ihn ohnehin nicht verstehen würde. Genau das empfahl die Ja-Seite in Hinblick auf den Lissabon-Vertrag.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Geboren 1954 in Berlin. 1976 bis 1977 Aufenthalt in Belfast als Deutschlehrer. 1984 nach 22 Semestern Studium an der Freien Universität Berlin Diplom als Wirtschaftspädagoge ohne Aussicht auf einen Job. Deshalb 1985 Umzug nach Dublin und erste Versuche als Irland-Korrespondent für die taz, zwei Jahre später auch für Großbritannien zuständig. Und dabei ist es bisher geblieben. Verfasser unzähliger Bücher und Reiseführer über Irland, England und Schottland. U.a.: „Irland. Tückische Insel“, „In Schlucken zwei Spechte“ (mit Harry Rowohlt), „Nichts gegen Iren“, „Der gläserne Trinker“, "Türzwerge schlägt man nicht", "Zocken mit Jesus" (alle Edition Tiamat), „Dublin Blues“ (Rotbuch), "Mein Irland" (Mare) etc. www.sotscheck.net

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.