Ausbildungsplätze: Nachhilfe in Marktwirtschaft

Im Kampf um die Fachkräfte der Zukunft werden nur die Unternehmen erfolgreich sein, die die Bewerber nicht beschimpfen. Kommentar

Kurz vor Beginn des neuen Lehrjahres am 1. August oder 1. September gibt es noch mehr als 1.500 freie Ausbildungsplätze. Nach Angaben der Industrie- und Handelskammer (IHK) sind in der Hauptstadt derzeit 1.536 Lehrstellen in 106 Berufen unbesetzt. "Das sind 35 Prozent mehr als im Vorjahr", sagte IHK-Sprecher Holger Lunau gestern. Dabei seien alle Berufsgruppen vertreten. So würden neben einem Luxushotel auch Druckereien, Speditionen, aber auch Banken und Versicherungen händeringend nach qualifizierten Lehrlingen suchen. Mangelnde Ausbildungsfähigkeit vieler Bewerber sei schon seit Jahren der Hauptgrund für unbesetzte Lehrstellen, betonte Lunau. Etwa die Hälfte der Schulabgänger, die jetzt noch keine Lehrstelle hätten, sei nur "stark eingeschränkt einsetzbar", sagte der IHK-Sprecher weiter. Die Berufsbilder seien anspruchsvoller geworden. Gute Allgemeinbildung und Computerkenntnisse seien Voraussetzung. Auch die Handwerkskammer beklagt noch knapp 100 offene Lehrstellen. dpa

Die Unternehmen haben noch nicht begriffen, was der Umbruch am Ausbildungsmarkt für sie bedeutet. In altbewährter Manier bejammert die Industrie- und Handelskammer Berlins die "mangelnde Ausbildungsfähigkeit" der Schulabgänger, also schlechte Allgemeinbildung, fehlende Kundenfreundlichkeit, häufige Verspätungen und mangelhafte Motivation. In den alten Zeiten, wo die Unternehmen noch die große Auswahl aus einer Masse von Bewerbern hatten, konnten sie sich diese Schelte ihrer künftigen Mitarbeiter auch noch leisten.

Doch wer heute noch als Unternehmer so argumentiert, braucht dringend einen Nachhilfekurs in Marktwirtschaft. Denn diese Zeiten sind vorbei! Ganz unabhängig davon, dass die Kritik an den Schulabgängern in vielen Fällen berechtigt ist: Das Gesetz von Angebot und Nachfrage wird für ganz neue Töne auf dem Ausbildungsmarkt sorgen. Im Kampf um die Auszubildenden und damit um die Fachkräfte der Zukunft werden nur die Unternehmen erfolgreich sein, die die Bewerber nicht beschimpfen, sondern die ihnen einschmeicheln und ihnen etwas bieten können.

Denn künftig haben die Bewerber die Machtposition. Sie stehen vor der Auswahl: Welcher Arbeitgeber bietet mehr? Wer bringt mir wirklich etwas bei und benutzt mich nicht nur als billige Arbeitskraft? Wo habe ich die besten Chancen, später übernommen zu werden und eine langfristige Perspektive zu erhalten? Und welcher Arbeitgeber zahlt nicht nur das, was der Tarifvertrag allgemein vorschreibt, sondern darüber hinaus auch noch eine Zulage? Die Unternehmen, die weiterhin die Schulabgänger beschimpfen, werden auf dem Ausbildungsmarkt der Zukunft jedenfalls ganz schlechte Karten haben.

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