Verkehrter Arbeitsmarkt in Berlin: Lehrstellen suchen Bewerber

Der Aufschwung erhöht den Druck auf die Betriebe, Schulabgänger auszubilden. Die Zahl der Stellen steigt. Trotzdem haben viele Bewerber Schwierigkeiten, eine Lehrstelle zu bekommen, da die Anforderungen gestiegen sind.

In Berlin sinkt die Zahl der Schulabgänger. Gleichzeitig steigt die Zahl der von Betrieben angebotenen Ausbildungsplätze seit Jahren kontinuierlich, wie Berechnungen der Berliner Industrie- und Handelskammer (IHK) ergeben, die der taz vorliegen. In Kürze könnte deswegen das Angebot die Nachfrage übersteigen. "Derzeit halten sich Angebot und Nachfrage aber noch die Waage", sagt IHK-Sprecher Holger Lunau.

Bis Ende Juni waren bei der Berliner Agentur für Arbeit noch rund 5.000 freie Ausbildungsplätze gemeldet. Das könnte sich inzwischen aber bereits geändert haben, betont Olaf Möller, Sprecher der Agentur. "Ende Juli gibt es eine neue Hochrechnung - dann werden es deutlich weniger sein." Auch Müller bewertet die aktuelle Ausbildungsplatzsituation positiv. Die gute Konjunktur trage derzeit dazu bei, dass Firmen mehr Fachkräfte suchen. Laut IHK-Ausbildungsplatzbörse sind derzeit rund 1.400 Lehrstellen in 105 Berufen unbesetzt.

Einer Mitteilung des Senats zufolge standen den rund 33.000 Schulabgängern im vergangenen Jahr etwa 31.000 Ausbildungsplätze zur Verfügung. Für 2008 prognostiziert die IHK nochmal einen deutlichen Anstieg an Lehrstellen.

Das mag alles sehr schön klingen - wenn da nicht die hohen Anforderungen wären, die die Betriebe IHK-Sprecher Lunau zufolge an ihre Azubi-Bewerber stellen. "Ein Paketpacker muss heute mehr können, als bloß Pakete zu packen", erklärt er. "Er muss Computersysteme bedienen, sich mit der Technik auskennen." Das erfordere mehr Know-how, als viele Bewerber vorweisen könnten. Dadurch blieben Stellen in Unternehmen frei - und Schulabgänger weiterhin ohne Ausbildungsplatz. Zu den beliebtesten Lehrberufen zählen, so Lunau, nach wie vor jene in der Gastronomie, im Handel und in Büros. "Dort ist auch das Angebot am größten", sagt er.

Für Bewerber, die nicht auf Anhieb eine Ausbildung im Betrieb bekommen, gibt es Lehrstellen, die der Bund oder das Land Berlin finanziert. Laut der Senatsverwaltung für Arbeit wurden 2007 von den 31.000 Ausbildungsplätzen rund 11.000 auf diese Weise bezahlt. Im Jahr 2008 will der Senat insgesamt 2.500 Lehrstellen finanzieren. Da das im sogenannten Bund-Länder-Programm Ost 2008 enthaltene Kontingent an Ausbildungsplätzen in diesem Jahr erneut reduziert wird, stehen Berlin dabei nur noch 977 Plätze zur Verfügung, die der Bund zur Hälfte trägt. Das Angebot soll laut der Senatsverwaltung aber noch um weitere durch Landesmittel bezahlte 1.523 Stellen aufgestockt werden. Die endgültige Zahl der vom Staat finanzierten Lehrstellen dürfte erst Ende 2008 feststehen.

"Solange öffentliche Unterstützung notwendig ist, müssen die Betriebe noch mehr ausbilden", sagte Anja Wollny, Sprecherin der Senatsverwaltung für Arbeit, der taz. Zu allen diesjährigen Bewerbern kämen schließlich insgesamt rund 10.000 Altbewerber aus den letzten Jahren hinzu. "Und auch für sie braucht es betriebliche Ausbildungsplätze."

Neben den von Bund und Ländern unterstützten Lehrstellen machen die berufsbildenden Schulen bis zu 4.500 Ausbildungsangebote, heißt es in der Mitteilung der Senatsverwaltung. Für Jugendliche ohne Schulabschluss sind zudem 800 Plätze in "modular-dualen Qualifizierungsmaßnahmen" der Berufsschulen geplant. In diesem berufsvorbereitenden Programm holen Jugendliche ihren Hauptschulabschluss nach oder erweitern ihn, während sie auf eine Lehrstelle warten.

NORA GROSSE-HARMANN

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