Kolumne Barbaren in Beijing: Massenweise Mutproben

Ja, wir werden grüne Eier und Schlangen essen. Und am Ende winken wir mit Tibetfähnchen.

Weg mit den barbarischen Vorbehalten! Wie haben beschlossen, verwegener zu werden. Der Kollege ist mit dem Rad durch die Stadt gefahren, auf einem klapprigen Vehikel. Außerdem hat er angekündigt, jene grünen Eier zu essen, die ums Eck in einer finsteren Unterführung feilgeboten werden. Sie wurden wohl mit Pottasche, Kalk und ein paar Geheimingredienzien fermentiert, geschätzte zwei bis drei Jahre. In meinem Reiseführer steht, sie machten süchtig. Es muss sich um eine bizarre Sucht handeln, denn was wir in der Unterführung sehen, ist alles andere als verlockend. Noch nie sah man einen Käufer am Stand der alten Eierfermentiererin.

Ich wiederum habe eine verwegene Jogging-Tour unternommen, um die Strapazen der Marathonläufer vorwegzunehmen. Es ist erstaunlich: Aber in den Tagen der Olympischen Spiele ist Peking zu einem Luftkurort geworden. Es ist nur noch 28 Grad warm. Die Schwüle ist gewichen. Man könnte stundenlang laufen, ohne Probleme zu bekommen. Wie sie das wieder hinbekommen haben, die Organisatoren, die sich hinter dem Kürzel Bocog verstecken!? Sie haben die Eröffnungsfeier mit ihren Silberjodid-Kanonen regenfrei gehalten, hernach säuberten sie die Atmosphäre mit diversen Gewittergüssen, nun haben sie es doch tatsächlich vorm ersten Lauf über 42,195 Kilometer geschafft, Peking abzukühlen. Irgendwo vor den Toren der Stadt muss eine riesige Klimaanlage stehen, ein Monstrum, das Petrus vor Neid erblassen ließe.

Schröpfen lassen wollen wir uns auch. Unsere Gastgeberin pries jüngst die heilsame Wirkung dieser Prozedur. Sie lief vor ein paar Tagen mit riesigen blauen Flecken auf dem Rücken herum. Wir mutmaßten, es könnte sich um einen Akt häuslicher Gewalt gehandelt haben. Doch der Kollege winkte schließlich ab: "Das hätten wir doch mitbekommen in unserer Wohngemeinschaft." Ich erinnerte mich der Methode des Schröpfens, bei der vakuumierte Gläser auf die Haut aufgebracht werden. Derart aufgepropft beeinflussen sie angeblich die Energieströme des Körpers positiv. Die chinesische Marathonläuferin Zhu Xiaolin hat sich vorm Rennen auch schröpfen lassen. Mit sechs riesigen blauen Flecken auf dem Rücken wurde sie Vierte. Ich habe im Antidopingcode der Wada nachgeschaut: Schröpfen ist erlaubt. China kommt noch einmal herum um seinen ersten Dopingfall.

Für uns bleiben noch unzählige Mutproben zu bestehen: Ohne Unterlagen Taxi fahren. Schlange bestellen bei unserem Lieblingskoch, der auf acht Quadratmetern alle Gerichte dieser Welt zubereiten kann. Auf den Trommelturm steigen, wo regelmäßig Westtouristen abgestochen werden. Ein Tibetfähnchen in der Tasche tragen. Zum Abschied damit winken.

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