Kolumne: "Dich gibt es also auch noch?"

lesbisches erinnern

Auf dem Hinterhof im Mehringdamm 61 gehen "Hallo" und "Hallo" und "Hallo" im Stimmengewirr unter. "Du hier?" und "Lange nicht gesehen!" und "Sieh da, sie auch". Bei manchen ist das Wiedererkennen gar nur ein Zwinkern. Finn alias Hucky, Fotografin, und Sabine, Pädagogin, zwinkern mir mit dem linken Auge zu. Roswitha, Künstlerin, zwinkert mit dem rechten. Ich kann nicht zwinkern. Leider.

Der enge Hof mit den Bierbänken entlang der Mauer ist der richtige Ort für ein Wiedersehen. Denn ohne Enge, ohne Nähe, ohne zufällige Berührung, ohne Anwesenheit, die Abwesenheit unmöglich macht, hätte es die Lesbenbewegung, deren Vorreiterinnen sich hier treffen, nie gegeben.

Aber gibt es denn eine Lesbenbewegung, oder sind Lesben vor allem bewegt? Die Ausstellung im Schwulen Museum, zu deren Eröffnung so viele kommen, die sich lange nicht gesehen haben, behauptet es. "Lesben in Berlin seit Anfang der 1970er bis heute" so der Untertitel. Der Titel selbst gibt sich kryptisch. "L-Projekt" lautet er. So richtig sagen kann man bis heute nicht, worum es geht.

Worum also geht es? "Um die Historisierung der eigenen Geschichte", sagt Gabriele, Referentin beim Senat. "Um Erinnerungskultur!" Da hat sie recht. Im Gedränge im Hof jedoch geht es darum, sich an die Namen all der Frauen zu erinnern, die man früher mal kannte. Wüsste ich sie, könnte ich sie meiner Begleiterin vorstellen. Könnte sagen, das ist Doris. Sie war die Freundin der Mitbewohnerin meiner Exfreundin, bevor sie zur Exfreundin der Mitbewohnerin meiner Exfreundin wurde.

Oder die andere, die auf mich zukommt. Sehe ich sie, erinnere ich mich sofort daran, dass ich mich einmal, wegen Liebeskummers, für den sie nichts konnte, nackt im Schlachtensee verirrte und nicht mehr wusste, wo meine Sachen lagen. Sie wartete treu am Ufer, obwohl sie ein paar Stunden später doch in einem Flugzeug nach irgendwohin sitzen wollte. Der Name der Frau, die auf eine Dritte wartet, fällt mir auch erst ein, als die Dritte "Petra" ruft. In der Zwischenzeit verwechselte ich eine mir unbekannte Lisa mit einer Susanne und wurde selbst für eine Frau gehalten, die Traude heißt.

Wenn man es genau nimmt, verschmelzen wir so zu träger Erinnerungsmasse. Wir freuen uns, dass wir uns sehen, weil wir früher miteinander zu tun hatten. Damals waren wir auf Demos, nahmen uns der Sache der Frauen an, organisierten Feste, besetzten Häuser, malten Plakate, hatten Coming-outs. Wir taten, was man tut, um sich in einer Gesellschaft zu verankern. Die Flugblätter und Fotos von damals hängen nun im Museum. Sie hängen durcheinander, obwohl sie einer Ordnung folgen. Sexualität, Frauenbewegung, Gewalt, Lesben in Ostberlin sind die großen Stichworte.

Beim Vorbeilaufen allerdings ist alles viel simpler. "Das ist doch Vicky da auf dem Foto". Oder: "Ich war nie im Pour Elle." Oder: "Kommst du am Donnerstag zum Fossilientreff der Lesben?"

Marenka K.s Name fällt mir übrigens sofort ein, als ich ihr, schon beim Gehen, begegne. In blau-weiß gestreiftem Fleischerhemd sitzt sie auf einer Bierbank. Um sie herum die alte Clique aus Ostberlin. Von ihr lerne ich an diesem Abend doch noch etwas. Dass Leute, die zeigen wollten, dass sie dem DDR-System kritisch gegenüberstanden, Fleischerhemden trugen. "Die Soldaten hatten doch auch ihr Uniformen", sagt sie.

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