piwik no script img

Kommentar BahnKoalition der Heuchler

Kommentar von Klaus Hillenbrand

Mit ihrer Schalterpauschale handelt die Bahn nach den Gesetzen des Marktes. Schuld daran ist die Politik, die sie zu einem normalen Unternehmen gemacht hat.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

taz-Autor
Jahrgang 1957, ist Mitarbeiter der taz und Buchautor. Seine Themenschwerpunkte sind Zeitgeschichte und der Nahe Osten. Hillenbrand ist Autor mehrerer Bücher zur NS-Geschichte und Judenverfolgung. Zuletzt erschien von ihm: "Die geschützte Insel. Das jüdische Auerbach'sche Waisenhaus in Berlin", Hentrich & Hentrich 2024
Mehr zum Thema

5 Kommentare

 / 
  • TK
    Tilman Kluge

    Die unternehmerischen Entscheidungen der Bahn AG nehmen zum Teil skurrile Formen an.

     

    Ich hatte mich jehrelang darüber geärgert, daß man im Internet den Fahrradstellplatz für den Fernverkehr (IC/EC/...) nicht online buchen kann, sondern zum Schalter oder (teurer) Telefon laufen muß.

     

    Zwischenzeitlich hatte ich mir eine BahnCard 100 (BC 100) besorgt, die mir mit einer üppigen Begrüßungsbroschüre, ich gehörte nun zu den exklusiven Kunden der DB (im Gegensatz zu den "normalen" Kunden), übersandt wurde. Die BC 100 schließt die Fahrradmitnahme gratis mit ein. Platzreservierungen im Internet kosten 2 EUR, am Schalter 4 EUR.

     

    Am 1.8.2008 geschah das Wunder, die Fahrradstellplatzbuchung im Internet war möglich. Möglich für alle?

     

    Mitnichten!

     

    Denn die Buchung funktioniert nur im Zusammenhang mit Fahrkarten- und Fahrradkartenkauf. Da der velophile BC 100 Inhaber aber weder Fahrkarte noch Fahrradkarte braucht, ist er somit bei der Online-Buchung ganz exklusive aus dem Geschäft und zahlt weiterhin 4 EUR am Schalter statt 2 EUR zuhause. Nach Adam Riese zockt die Bahn AG dabei also jeweils 2 EUR ab.

     

    Nun könnte man ja aufgrund der gedanklichen Unbewegtheit und organiatorischen Zergliederung der Bahn AG zu deren Gunsten traditionell dort angesideltes antiquiertes Denken vermuten. Derlei Denken könnte die Illusison beinhalten, BC 100 Besitzer hätten kein Fahrrad und würden die Online-Stellplatz-Buchung gar nicht brauchen. Doch tatsächlich ist Vorsatz im Spiel. Die Bahn AG hat inzwischen erklärt, es sich bei dem exklusiv für BC 100 Inhaber unbrauchberen Angebot um eine unternehmerische Entscheidung.

     

    Aus welchen Gründe man als DB AG unternehmerisch entscheidet, seine exklusiven Stammkunden von einem Angebot auszuschließen, das damit nur den "normalen" Kunden zugänglich ist, kann das Unternehmen wie so oft nicht begründen.

     

    Ein Versuch erfolgte Mitte August mit der Anmerkung, daß es für das Angebot noch keine Nachfrage gebe. Wie sollte das auch sein, wo doch vergleichbare Daten erst ca. 14 Tage vorlagen, soweit mißlungene Versuche der BC 100 Inhaber überhaupt zählbar waren. Das Online-Angebot gab es vorher für wen auch immer bekanntermaßen ohnehin nicht. Manchmal könnte man glauben, das Vorurteil, Statistik sei die Steigerung von Lüge, sei gar kein Vorurteil, sondern Realität.

  • J
    Joachim

    Liebe taz-Macher,

    wie wäre es, wenn Ihr den Euphemismus "sozial schwach" einfach streichen würdet? Denn tatsächlich geht es um "arme" Menschen, also ohne Anführungszeichen, arme Menschen, die sich kein Auto leisten können und nun noch zusätzlich mit 2,50 Euro Servicegebühr abgezockt werden.

     

    Mitleid haben auch die Menschen an den Schaltern verdient. Noch sind sie diejenigen, die den Frust der Reisenden abbekommen, wenn sie ihre Arbeit verlieren, können sie sich den anderen armen Menschen dazugesellen.

  • O
    Oranier

    Volle Zustimmung zum Kommentar von Hans Pfitzinger!

     

    Mit der Floskel "sozial Schwache", wird in der Sprache der Politiker, und in deren Gefolge der Medien, nicht nur der gesellschaftliche Skandal kaschiert, dass es Arme in unserem Land gibt, diese werden durch die begriffliche Verdrehung auch noch diskriminiert.

     

    Hillenbrand setzt noch eins drauf, indem er die Armen neben anderen Bevölkerungsgruppen umstandslos für defizitär erklärt in Bezug auf die Fähigkeit des Umgangs mit moderner Technik.

  • OF
    Oliver Frei

    Mehdorns Masche ist doch durchsichtig: Der Bahn ist natürlich nicht am "flächendeckenden Erhalt" ihrer Reisezentren gelegen. Wäre ja auch unlogisch für eine "Börsenbahn", die nur an Profitmaximierung bei gleichzeitiger Kostenminimierung interessiert ist. Alles, was die Bahn Geld kostet (z. B. Service, technische Wartung, Personal), muss auf das absolut Notwendigste reduziert werden, am besten gleich ganz verschwinden. Schon jetzt ist der Besuch eines "Reisecenters" eine Zumutung. Viiiiiiieeeeeeel Zeit und Geduld muss mitbringen, wer am Schalter beraten oder bedient werden möchte (Platzreservierungen sind am Schalter schon jetzt teurer als etwa im Internet). Aber für eilige Kunden stellt die Bahn ja Automaten auf. Wenn dann schließlich genug Kunden vergrault sind, hat Mehdorn sein Ziel erreicht und kann "aufgrund fehlender Nachfrage durch die Kunden" die Schalter abschaffen. An dieser Stelle werfe ich mal einen Blick in die Zukunft: Sobald das erste Etappenziel in Sachen Serviceminimierung erreicht ist, sind die Automaten dran. Weil diese Wartungskosten verursachen, müssen die Kunden einen "Automatenzuschlag" entrichten. Wem das nicht passt, der kann ja seine Fahrkarten im Internet kaufen. Ach, Kapitalismus ist schon 'ne feine Sache. Da kann man sprichwörtlich "aus Scheiße Bratkartoffeln machen", man denke nur an die diversen Lebensmittelskandale. Doch warum vom Thema abschweifen. Lieber "Bahnchef", hier noch 'ne tolle Idee: Sämtliche Zugtoiletten sind nur nach Münzeinwurf (2,- Euro) nutzbar. Sollte meine Idee realisiert werden, erwarte ich eine Innovationsprämie - gerne auch in Form einer "Bahncard 100 First". Alles klar?

     

    P.S.: Kompliment an Herrn Pfitzinger zur Definition von "sozial schwach". Er bringt es auf den Punkt!

  • HP
    Hans Pfitzinger

    taz vom 1. September 2008, Seite 12

     

     

    Sozial schwach, sprachlich daneben

     

    Auf der Meinungsseite ein Kommentar von Klaus Hillenbrand, der mal Chef vom Dienst war oder immer noch ist - der Leser erfährt ja nichts aus dem taz-Impressum. Na, jedenfalls arbeitet der Mann schon gefühlte 100 Jahre bei meinem geliebten Käseblättchen, schreibt seitenweise Artikel zum Thema Zypernkonflikt, und müsste eigentlich wissen, wie man mit Sprache umgeht. Und dann salbadert er doch wieder von den "sozial Schwachen", für die es einen Unterschied macht, ob die Bahn für Fahrkarten am Schalter 2,50 Euro draufschlägt. In der taz wurde schon mehrmals in Leserbriefen darauf hingewiesen, dass Menschen, die nur ein geringes Einkommen haben, nicht sozial schwach sind. Sie sind vielleicht finanziell schlechter gestellt, arm, "wirtschaftlich schwach", wenn's denn sein muss, aber sozial schwach oder asozial sind Leute wie Wolfgang Clement und Gerhard Schröder, die zehntausende von Menschen in die Armut getrieben haben, oder Helmut Mehdorn, Josef Ackermann, René Obermann und wie sie alle heißen, die Rekordprofite einfahren wollen und massenhaft Leute entlassen. Menschen, die weniger Geld zur Verfügung haben, können auch sozial schwach sein, klar, aber das hat Klaus Hillenbrand in diesem Zusammenhang ja wohl nicht gemeint.