"Kommissarin Lund" im ZDF: Die könnens, die Dänen
Im ZDF ermittelt für 10 x 100 Minuten "Kommissarin Lund" (22.00 Uhr). Und sie macht ihren Job verdammt gut.
1.000 Minuten bis zur Aufklärung - was für eine wunderbare Zumutung für jeden Drehbuchautoren. In diesem Krimidrama ist der Mord an einer Gymnasiastin die Ausgangssituation für ein detailreiches Gesellschaftspanorama, das die Verwüstungen bei der Opferfamilie ebenso ausführlich zeigt wie die Verfehlungen der Kopenhagener Kommunalpolitik. Wie das funktioniert? Das Geheimnis des dänischen Zehnteilers liegt in der Kombination des extrem kurz getakteten Ermittleralltags mit einem sehr, sehr langen Erzählatem.
In Zentrum steht Kommissarin Lund (Sofie Gråbøl), die eigentlich schon längst weg ist. Schließlich steht sie kurz vor dem Umzug nach Schweden, wo sie mit ihrem kleinen Sohn zum neuen Ehemann ziehen will. Doch von Tag zu Tag zögern die Ermittlungen die Abreise hinaus. Erschwerend kommt hinzu, dass ihr Nachfolger schon den Schreibtisch übernommen hat und sich vorlaut einmischt.
Neben der Zeit, den Kollegen gibt es noch ein Hindernis: Den Kommunalpolitiker Troels Hartmann (Lars Mikkelsen), der Bürgermeister von Kopenhagen werden will und ebenfalls kalt erwischt wird: Spuren führen in sein Wahlkampfbüro.
Regisseur Birger Larsen, der auch für die epische Mankell-Verfilmung "Die fünfte Frau" verantwortlich zeichnete, montiert hier also parallel das politische Geschäft mit der Ermittlerrecherche. Die frappierende Ähnlichkeit in beiden Bereichen: Es geht nicht alleine darum, über welches Wissen man verfügt, sondern wie man mit diesem Wissen strategisch verfährt.
Wie feinnervig dieses Ineinander von Moral und Politik in "Kommissarin Lund" aufbereitet wird, fällt umso mehr auf, wenn man sich anschaut, wie klobig die öffentlich-rechtliche deutsche Konkurrenz an diesem Wochenende mit gesellschaftsrelevanten Themen umgeht: Beim "Duo" werden am Samstag (20.15 Uhr) im ZDF Aspekte der Bildungsdebatte für eine lieblose Parade von Lehrer- und Schüler-Stereotypen genutzt, beim Saarländer "Tatort" in der ARD am Sonntag (20.15 Uhr) hat man die Strukturprobleme in der ehemaligen Bergbau-Region für einen stumpfen Grubenschocker instrumentalisiert.
Ganz anders die Dänen: Die Genauigkeit, mit der einerseits der gefährliche Aktionismus der Opferfamilie und andererseits der Wahnsinn des Wahlkampfalltags aufgezeigt wird, zeugt für ein großes Gespür für die Widersprüchlichkeiten der Wirklichkeit. In Dänemark gab es dafür Traumquoten von durchschnittlich 70 Prozent. Mal sehen, ob das deutsche Publikum zehnmal gut 100 Minuten geballte Schizophrenie ebenso dankbar annimmt. CHRISTIAN BUSS
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