Arte-Doku über Ex-US-Außenminister Kissinger: Ohne Rücksicht auf das Völkerrecht
Stephan Lambys Film "Henry Kissinger - Geheimnisse einer Supermacht" rückt das Bild des Friedensnobelpreisträgers von 1973 zurecht (Mittwoch, Arte, 21 Uhr).
Er gilt als der Elder Statesman der US-amerikanischen Außenpolitik. Joschka Fischer bezeichnet ihn gern als Freund, mit Helmut Schmidt trifft er sich regelmäßig privat. Mit dem Niedergang US-amerikanischer Diplomatie unter der Regierung Bush wuchs die historische Gestalt und aktuelle Bedeutung Henry Kissingers noch weiter - der Mann, der seit über drei Jahrzehnten kein offizielles Regierungsamt in den USA mehr innehat, hat nach wie vor großen Einfluss. Und die "Realpolitik", die der als Jude 1938 aus Nazideutschland geflohene Henry Kissinger in die US-Politik einführte, erscheint vielen im Rückblick gerade angesichts der Kriegsabenteuer der Bush-Regierung als ferne Verheißung.
Welch ein Missverständnis. Mit "Henry Kissinger - Geheimnisse einer Supermacht" zeichnet Autor Stephan Lamby ein Bild Henry Kissingers, das der historischen Wahrheit wohl sehr viel näher kommt als all die Lobhudeleien. Er zeigt Kissingers Aufstieg zum Nationalen Sicherheitsberater und schließlich Außenminister Präsident Nixons -und charakterisiert Kissinger dabei als skrupellosen Machtmenschen. Strategisch hochbegabt, mit schier unerschöpflicher Arbeitsenergie und seinem eigenen Präsidenten intellektuell deutlich überlegen arbeitet Kissinger an der US-amerikanischen Vormachtstellung in der Welt gegen den Kommunismus. Geheime Militäroperationen wie die Bombardierung Kambodschas gehen ebenso auf sein Konto wie geheime Diplomatie Richtung Sowjetunion und China.
Kissinger ist bei alledem stets nur am Ergebnis interessiert. Menschenrechtsfragen etwa interessieren ihn nur am Rande - und das wird auch in Stephan Lambys Film mehr als deutlich. Ausführlich steht Kissinger selbst dem Autor Rede und Antwort - doch zu heiklen Komplexen wie etwa der Rolle der CIA und Kissingers beim Putsch gegen Chiles sozialistischen Präsidenten Salvador Allende wird Kissinger einsilbig und besteht auf Themenwechsel. Auch die inzwischen belegte Tatsache, dass Nixons Nachfolger Gerald Ford gemeinsam mit Henry Kissinger im Gespräch mit Indonesiens Diktator Suharto de facto die Invasion autorisierte, versucht Kissinger wortkarg zu relativieren.
Unter Kissingers Ägide hat sich das Arsenal außenpolitischer Instrumente der USA deutlich erweitert. Von der Drohung mit der Atombombe bis zur subtilen diplomatischen Offerte wusste der Stratege alles einzusetzen, was den Interessen der USA nutzen konnte - oft genug ohne Rücksicht auf Völkerrecht oder ähnliche Feinheiten.
Natürlich ist Kissinger ein Zeitzeuge entscheidender Phasen des Kalten Krieges, wie es nicht viele gibt. Aber er ist eben nicht nur ein Guter - vielen gilt Kissinger vielmehr als Kriegsverbrecher. In den USA haben die Journalisten Christopher Hitchens und Seymour Hersh mit kritischen Buchveröffentlichungen stark am Nimbus des altehrwürdigen Diplomaten gekratzt. Stephan Lamby, der nicht nur zu Kissinger selbst, sondern auch zu einer Vielzahl wichtiger Zeitzeugen wie Laurence Eagleburger, Alexander Haig und selbst Präsident George W. Bush Zugang gefunden hat, setzt die kritische Würdigung in seinem Dokumentarfilm gekonnt um, ohne dass der Film zur Anklageschrift gerät. Ausreichend sind 90 Minuten dafür freilich nicht - der Mann, dem 1973 in einer der wohl schlimmsten Fehlentscheidungen der Friedensnobelpreis zuerkannt wurde, birgt noch einige Geheimnisse mehr.
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