Kunstaktion: Zelte für kommende Flüchtlinge

Der Klimawandel wird Millionen Menschen nach Europa treiben. Der Künstler Hermann Josef Hack am Spreeufer schon mal 400 Zelte aufgestellt.

Am Reichstagsufer, vor dem Presse- und Informationsamt der Bundesregierung, kommt es fast zu einer Kollision. Zwei ältere, stämmig gebaute Männer schauen so angestrengt auf den Vorplatz des Gebäudes, dass sie einander nur in allerletzter Sekunde ausweichen können. "Pardon", röhrt der eine, der andere guckt erschrocken.

Das Objekt der Faszination ist die aktuelle Ausstellung des Künstlers Hermann Josef Hack. Hunderte kleiner Zelte bedecken die sonst graue Fläche am Spreeufer. "Climate Refugee Camp" heißen der Zeltplatz und die Ausstellung. Genauso sieht es auch aus: wie ein Flüchtlingslager in Miniaturformat. In dunklem Armeegrün, in leuchtendem Blau und schmutzigem Rot flattern die Planen im Wind, viele sind beschmiert. Mit Parolen gegen die Bewohner des Camps oder gegen Flüchtlingshilfsorganisationen.

"Das Problem der Klimaflüchtlinge ist völlig unterbelichtet", erklärt Hack seine Motivation. 200 Millionen Menschen, so die neuesten Schätzungen der Vereinten Nationen, werden bis zum Jahr 2050 zu Klimaflüchtlingen werden. Wegen Dürren, Unwettern oder Umweltkatastrophen, ausgelöst durch den Klimawandel. 200 Millionen Menschen, das sind so viele, wie derzeit in Großbritannien, Frankreich, Italien und den Niederlanden leben. Die Vereinten Nationen erwarten daher Migrationsschübe in weitaus größerem Ausmaß als die Zahl der Flüchtlinge, die jetzt mit Booten von Afrika nach Europa flüchtet. "Das wird gewaltige Auswirkungen auf unsere Gesellschaft haben und das muss man auch künstlerisch abbilden", so Hack. Es ist nicht das erste Mal, dass er den Klimawandel zum Thema seiner Arbeit macht. Bereits 1995 rief er die Berliner dazu auf, für fünf Minuten das Licht auszuschalten. Auf der documenta IX in Kassel ließ er Besucher mit Klimaforschern telefonieren.

Doch das Thema ist schwierig, auch bei der aktuellen Ausstellung verstehen längst nicht alle seine Kunst. "Sieht lustig aus", kommentieren zwei Touristinnen, die die Zelte fotografieren. Erst als sie den Hintergrund erfahren, blicken sie pflichtbewusst betroffen.

Dabei bietet die Ausstellung mehr als nur Zelte. Fotos, Bilder und Transparente zeigen, wie weit Hack sein Konzept der Flüchtlingscamps tatsächlich entwickelt hat. So zeigt ein detaillierter Lageplan, an welchen Orten in der Berliner Innenstadt Notaufnahmelager errichtet werden könnten. Bewohner rund um den Bundesplatz oder in Lichterfelde Ost sollten sich demnach schon mal auf neue Nachbarschaft gefasst machen. Und statt eines Ausstellungsführers gibt es für die Besucher den "Climate Refugee Guide Berlin" - nur für alle Fälle, natürlich.

Mit seiner Ausstellung sieht Hack sich als Vermittler zwischen Wissenschaft und Bevölkerung, ganz nach seinem Motto "Nur Kunst kann den Klimawandel stoppen". Dem stimmt auch Staatssekretär Michael Müller (SPD) zu: "Die Debatte wird viel zu technisch geführt", kritisiert er anlässlich der Ausstellungseröffnung. Die Frage nach den Folgen des Klimawandels sei eine Menschheitsherausforderung. Die könne die Wissenschaft alleine gar nicht beantworten - dazu brauche es die Kunst.

Trotzdem: Ganz unpolitisch will der Künstler seine Arbeit nicht verstanden wissen. "Gute Kunst ist immer auch gute Politik", findet Hack.

Die Ausstellung ist noch bis zum 23. Oktober in und vor dem Besucherzentrum des Bundespresseamtes am Reichstagsufer 14 in Mitte zu sehen.

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