Kommentar Parteitag Grüne: Die Grünen wandern nach links

Die Klatsche für Fritz Kuhn zeigt, dass sich die Basis eher hinter dem linken Flügel der Grünen steht als hinter den Realos. Das kann sich allerdings schnell ändern.

Er wolle nicht alles neu machen, das Parteiprogramm sei prima, sagt Cem Özdemir. So signalisierte der neue Grünen-Chef seiner empfindlichen Partei, dass ihm klar ist, wie viel oder wie wenig inhaltliche und strategische Gestaltungsmacht man ihm zutraut. Damit entspricht die Kür des neuen Parteichchefduos Cem Özdemir und Claudia Roth den Notwendigkeiten des Wahljahrs, in dem alle Fäden beim Spitzenkandidatenduo Jürgen Trittin und Renate Künast, also eher bei der Fraktion als bei der Partei zusammenlaufen.

Fraktionschef Fritz Kuhn sind nun freilich einige dieser Fäden verloren gegangen. Man darf seine missglückte Wahl in den Parteirat jedoch nicht überbewerten: Der Parteirat entscheidet wenig und hat großenteils symbolische Funktion - und wenn Fritz Kuhn nicht mehr in diesem Gremium sein darf, wird er dafür sorgen, dass es weiter entwertet wird. Die Wahlen in den 16-köpfigen Parteirat dienen den Grünen alle zwei Jahre als Ventil. Dieses Jahr wurde eben Kuhn dafür bestraft, dass er für den marktwirtschaftlichen, nach CDU und FDP durchlässigen Kurs steht, in dem die Partei ihre Ideale nicht wiederfindet. Und dass er seine Vorlieben schlechter als andere verbirgt.

Allerdings zeigt die Klatsche für Kuhn erneut, dass der linke Parteiflügel der Grünen mehr Zustimmung an der Basis zu sammeln vermag als der Realoflügel. Den grünen Spagat zwischen Vernunftanspruch und Radikalität vermögen nur noch wenige Realos glaubwürdig durchzuhalten: Der Hesse Tarek Al-Wazir, der seine Grünen im Ypsilanti-Theater unermüdlich als "Stimme der Vernunft" anpreist, schafft das noch so eben. Einem Kuhn will die Partei das nicht mehr abnehmen.

Doch mögen die Realos sich trösten. Dass die Partei während der Opposition nach links wandert, liegt angesichts einer großen Koalition in der grünen Natur der Sache und ist noch nicht einmal der überlegenen Organisation des Linkenflügels zuzuschreiben. Grüne Realpolitik war stets Ergebnis und Ausdruck der Regierungsbeteiligung. Steht diese irgendwann wieder an, wird es plötzlich wieder ganz viele Realos geben. ULRIKE WINKELMANN

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Chefredakteurin der taz seit Sommer 2020 - zusammen mit Barbara Junge in einer Doppelspitze. Von 2014 bis 2020 beim Deutschlandfunk in Köln als Politikredakteurin in der Abteilung "Hintergrund". Davor von 1999 bis 2014 in der taz als Chefin vom Dienst, Sozialredakteurin, Parlamentskorrespondentin, Inlandsressortleiterin. Zwischendurch (2010/2011) auch ein Jahr Politikchefin bei der Wochenzeitung „der Freitag“.

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