Palästinenser bauen jüdische Siedlungen: "Ich habe keine Wahl"

Palästinenser bauen jüdische Siedlungen im Westjordanland - aus Mangel an alternativen Jobmöglichkeiten. Dabei hat sich Israel längst zu einem vollständigen Baustopp verpflichtet.

Vielerorts bauen Palästinenser mit an den Siedlungen. Bild: dpa

Am Abdallah-Ibrahim-Übergang zur jüdischen Siedlung Efrat, südlich von Bethlehem, parken rund 15 Autos, meist ältere Modelle, und zwei Sammeltaxis. Es sind Fahrzeuge der palästinensischen Arbeiter, die jeden Morgen um 6.30 Uhr durch das von Soldaten bewachte hintere Tor kommen, das nur zu dem Zweck geöffnet wird, die Arbeiter in die Siedlung rein und nachmittags wieder rauszulassen.

Samir Mustafa Scharif marschiert mit forschen Schritten die eineinhalb Kilometer in Richtung Givat Hatamar, einem im Dezember 2001 illegal errichteten "Vorposten" von Efrat. In Reih und Glied stehen dort 50 bis 60 einfache Wohnmobile; hier und dort ein Topf mit einer Pflanze. Nur ein kleiner Plastiksandkasten und alte Kinderfahrräder lassen darauf schließen, dass hier Familien leben.

Die jungen Juden werden angelockt von der günstigen Miete und vom Leben in einer kleinen, zumeist religiösen Gemeinschaft, fernab von Straßenverkehr, Kinos und Einkaufszentren. Sie sind aus ideologischen Gründen in der Siedlung, mit der sie den Juden "Eretz Israel" sichern wollen, "Großisrael" also, das Westjordanland inklusive.

Samir hat ein Zimmer zu streichen. Seine Auftraggeber haben sich auf eigene Kosten einen zusätzlichen Raum anbauen lassen. "Gipswände sind viel schwieriger zu bearbeiten als Beton", erklärt er und packt den Spachtel aus. Wenigstens drei Schichten muss er auftragen, wenn die Arbeit gut werden soll. Und das soll sie, denn der 30-Jährige hofft auf weitere Aufträge. Ungeachtet der Tatsache, dass knapp ein Drittel des Landes, auf dem die Siedlung gebaut ist, palästinensischer Privatbesitz ist und seinen Landsleuten nach dem Sechstagekrieg von 1967 weggenommen wurde, hängt der junge Mann an seinem Arbeitsplatz.

"Es interessiert mich nicht, wem das Land gehört", sagt Samir betont gleichgültig. "Efrat ist 1978 gegründet worden, in dem Jahr, in dem ich geboren wurde. Das hier ist nicht mein Problem." Seit fünf Jahren verdient der Palästinenser seinen Lebensunterhalt in den Siedlungen. Die meisten Aufträge schustert ihm sein jüdischer Freund Meir zu, der in Efrat geboren ist und mit seiner Familie ebenfalls in einem der billigen Wohnmobile lebt.

"Meir ist wie mein Bruder", sagt der Maler, und man will es ihm glauben. Die beiden Männer gehen mit erkennbarer Sympathie miteinander um. Nur zögernd gibt Samir zu, dass er nicht immer so respektvoll behandelt wird. "Manchmal schimpfen die sehr frommen Juden auf uns und nennen uns stinkende Araber", sagt er, schränkt aber sofort ein: "In Efrat ist das noch nie passiert."

Gerade Efrat gehört indes zu den religiösen Siedlungen südlich von Jerusalem, unweit von Gusch Etzion, einem "Siedlungsblock", den die israelische Regierung auch im Rahmen eines Friedensabkommens mit den Palästinensern nicht aufgeben will. Deshalb lässt das israelische Wohnungsbauministerium munter weiterbauen, obschon sich die Regierung mit der Unterzeichnung der "Roadmap", eines international unterstützten "Friedensfahrplans" für Nahost, schon vor fünf Jahren zum totalen Baustopp in den Siedlungen verpflichtet hat.

"Es gibt Leute in Beit Dschalla, die sagen: Warum machst du das? Warum musst du ausgerechnet in einer Siedlung arbeiten?", sagt Samir bedrückt. "Ich habe keine Wahl. Es gibt bei uns praktisch keine Arbeit."

Samirs Heimatort Beit Dschalla grenzt an Bethlehem. In beiden Städtchen "sind die Löhne so niedrig, dass das Geld kaum ausreicht, um Getränke davon zu kaufen", sagt Samir. Wer kann, geht deshalb nach Israel oder als zweite Option, vor allem für junge unverheiratete Männer, die keine Einreisegenehmigung nach Israel bekommen, zu den Siedlern. "60 Prozent der Palästinenser", so schätzt Samir, "arbeiten bei den Juden."

Die Männer sind in der Industrie tätig, in der Landwirtschaft, im Dienstleistungsgewerbe und viele in der Baubranche. Mindestens 18.000 Palästinenser verdienen sich ihren Lebensunterhalt in den Siedlungen, seit Israel die Grenzen undurchlässiger macht und die Zahl der westlich der Trennanlagen beschäftigten Palästinenser auf rund ein Drittel zurückging. Samir verdient durchschnittlich 3.000 Schekel (600 Euro) im Monat, in Beith Dschalla wären es nur 1.000, vorausgesetzt, es gäbe dort überhaupt Arbeit für ihn.

Aber auch die Arbeit in Efrat ist mehr als unsicher. Nach jedem Zwischenfall oder Terroranschlag verhängt die Armee Reisesperren und führt schärfere Kontrollen durch. An die Möglichkeit, dass es eines Tages Frieden geben wird und seine jüdischen Arbeitgeber die Sachen packen müssen, um nach Israel umzuziehen, glaubt Samir nicht. "Wenn [Ex-Palästinenserpräsident Jassir] Arafat keinen Frieden machen konnte, dann schafft es [Palästinenserpräsident Machmud Abbas, alias] Abu Masen auch nicht."

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