Kommentar Rezession: Mit ruhiger Hand gegen die Wand

Angesichts der Rezession müssten kurzfristig gerade die gefördert werden, die garantiert nicht sparen - nämlich Geringverdiener. Nur in Deutschland will man das nicht einsehen.

700.000 Arbeitslose mehr - so lautet die jüngste Schätzung, was Finanzkrise und Rezession für Deutschland bedeuten werden. Diese Prognose klingt düster, doch wie düster sie tatsächlich ist, wird am deutlichsten im historischen Vergleich. Die OECD-Experten gehen davon aus, dass die Wirtschaft 2009 um 0,9 Prozent schrumpft. So stark ist die Konjunktur in der bundesdeutschen Geschichte erst zweimal eingebrochen - nach dem Ölpreisschock 1975 und nach dem Ende des Einheitsbooms 1993. Zudem rast die Rezession mit erstaunlicher Geschwindigkeit heran. Noch im Oktober prognostizierte das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung, dass 2009 ein Wachstum von 1,0 Prozent zu erwarten sei. Dieser Optimismus war zwar damals etwas ungewöhnlich - aber jetzt, nur sechs Wochen später, wirkt diese Zuversicht völlig jenseitig. So schnell hat sich wohl noch keine Krise verschärft.

Die Regierung bleibt dennoch gelassen, was gerade bei der SPD erstaunt. Denn die "Politik der ruhigen Hand" hat den Sozialdemokraten schon in der letzten Rezession unter Kanzler Schröder geschadet. Doch hartnäckig beschließt die große Koalition entweder gar nichts - oder das falsche. Auch die OECD hat jetzt wieder angemerkt, was zuvor schon die Fünf Weisen kritisiert haben: Es ist völlig kontraproduktiv, mit Kfz-Steuersenkungen oder Bürgschaften einzelne Industriezweige wie die Autofirmen zu fördern. Man muss die Nachfrage stärken, statt die Angebotsbedingungen einiger Branchen zu verbessern.

In der internationalen Diskussion kristallisiert sich inzwischen auch heraus, wie eine kurzfristige Nachfragepolitik aussehen sollte. So ist es am effektivsten, jene Bevölkerungsgruppen zu fördern, die garantiert nicht sparen - also die Geringverdiener. Selbst die EU-Kommission, sonst eher als neoliberal bekannt, fordert in ihrem Konjunkturprogramm, gezielt die unteren Schichten zu entlasten.

Nur in Deutschland kommt das nicht an. Es ist geradezu undenkbar, die Hartz-IV-Sätze auf 420 Euro hochzusetzen, obwohl es ökonomisch vernünftig wäre. Aber offenbar ist es zum ideologischen Selbstzweck geworden, die unteren Schichten auszugrenzen. ULRIKE HERRMANN

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Der Kapitalismus fasziniert Ulrike schon seit der Schulzeit, als sie kurz vor dem Abitur in Gemeinschaftskunde mit dem Streit zwischen Angebots- und Nachfragetheorie konfrontiert wurde. Der weitere Weg wirkt nur von außen zufällig: Zunächst machte Ulrike eine Banklehre, absolvierte dann die Henri-Nannen-Schule für Journalismus, um anschließend an der FU Berlin Geschichte und Philosophie zu studieren. Sie war wissenschaftliche Mitarbeiterin der Körber-Stiftung in Hamburg und Pressesprecherin der Hamburger Gleichstellungssenatorin Krista Sager (Grüne). Seit 2000 ist sie bei der taz und schreibt nebenher Bücher. Ihr neuester Bestseller heißt: "Das Ende des Kapitalismus. Warum Wachstum und Klimaschutz nicht vereinbar sind - und wie wir in Zukunft leben werden". Von ihr stammen auch die Bestseller „Hurra, wir dürfen zahlen. Der Selbstbetrug der Mittelschicht“ (Piper 2012), „Der Sieg des Kapitals. Wie der Reichtum in die Welt kam: Die Geschichte von Wachstum, Geld und Krisen“ (Piper 2015), "Kein Kapitalismus ist auch keine Lösung. Die Krise der heutigen Ökonomie - oder was wir von Smith, Marx und Keynes lernen können" (Piper 2018) sowie "Deutschland, ein Wirtschaftsmärchen. Warum es kein Wunder ist, dass wir reich geworden sind" (Piper 2022).

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