"Der Ball ist rund" wird eingstellt: Gute Nacht, Hessen
Die legendäre Popsendung "Der Ball ist rund" von Radio-DJ und Musikautor Klaus Walter wird eingestellt. Das sagt viel über das Kulturverständnis der Verantwortlichen beim Hessischen Rundfunk.
Hessen hier, Hessen da, in Hessen ist viel Trallala! Langsam fängt man an, sich für das lustige Ländchen genauer zu interessieren. Und landet schnell bei der Frage: Was macht denn eigentlich der Hessische Rundfunk so? Der Hessische Rundfunk ärgert sich seit Monaten, dass die hessischen Politpromis dauernd in den Schlagzeilen sind, aber keiner von ihm redet, dem HR. Hat er sich also was einfallen lassen: zum Jahresende feuert er seine beste und bekannteste Radiosendung "Der Ball ist rund".
Solcher Mut zum Risiko wurde prompt belohnt. Von der FAZ bis zur Jungle World hagelte es jetzt Headlines, in der Zeit stand: "Hessen: Auch das noch". Nicht zu vergessen die im Moment knapp 3.000 Stimmen, die auf der Protestseite www.derballist rund.org den HR grüßen, darunter Herbert Grönemeyer, Basketballidol Henning Harnisch und Diedrich Diederichsen. Da träumt HR-Hörfunkchef Dr. Sommer sicher zurecht vom Grimme-Preis für den irrsten PR-Schachzug. Seit 1984 macht Klaus Walter seine Popsendung "Der Ball ist rund". Er kam ins Spiel, nachdem er im Frankfurter Stadtmagazin Pflasterstrand dem HR nachgewiesen hatte, von Pop keine Ahnung zu haben. Seitdem liegt dort die Messlatte für guten Musikjournalismus: Seit fast 25 Jahren spielt Walter das Neueste, sei es abseitig oder trendauslösend, innovativ oder für einen Moment auffällig, und er zieht Verbindungen, in die Musikgeschichte, die aktuelle Politik, in die Realität, von der keine Musik abgekoppelt ist. Deshalb ist Walters Spielfeld keine Nische, sondern eher ein Forschungszentrum für alles, was Pop ist oder sein könnte, und deshalb erreichen seine Pässe alle Musikfans, die von den Nostalgie- oder Hitschienen der formatierten Programme nicht bedient werden.
Heute ist der 53-Jährige einer der bekanntesten deutschen Radio-DJs und Musikschreiber, seine Sendung ist legendär und bei den jährlichen Radio-Hitlisten der besseren Musikmagazine auf einen der Spitzenplätze abonniert. Obwohl "Der Ball" keine gute Position hat, nur die Stunde vor Mitternacht jeden Sonntag auf der Mainstreamschiene HR3. Qualität setzt sich eben durch, möchte da selbst der letzte Depp schlaumeiern - während HR3-Leiter Jörg Bombach ins Quotenstudium abtauchte und entdeckte, dass Walters Sendung "statistisch nachgewiesen keine Hörer mehr" habe. Keine? Oder gar keine? Oder 16.666? Aus der Statistiksprache übersetzt heißt "keine" nur: unter 20.000. Mit dieser Begründung könnte man eine Menge Kultursendungen der öffentlich-rechtlichen Radios killen. Aber der Herr Bombach will eben seinen HR3 "mehr auf die Mitte und den Mainstream fokussieren" und "rund um die Uhr durchhörbar" machen.
Dieser Hessenkrempel würde (fast) keinen interessieren, wenn es nicht nach einer Säuberung riechen würde: Denn der HR gibt seinen beiden einzigen Pop-Autorensendungen - neben der von Walter wird auch die von Volker Rebell entsorgt - auf keiner seiner sechs Wellen einen Platz. Nicht mal in der Kultursektion HR2, weil man dort Pop offensichtlich ignoriert. Zwischen Ballermannmentalität und provinziellem Hochkulturdünkel scheint es beim HR nichts zu geben. Die meisten Unterstützer des Protests gegen die Abschaffung von Walter und Rebell fragen natürlich, wofür sie GEZ-Gebühren bezahlen und wofür der HR Gebühren kassiert, wenn er nur noch austauschbare, "durchhörbare", an jeder Ecke erhältliche Mittelpopmusik spielt und seinem Informations- und Bildungsauftrag nicht nachkommt.
Eine seltene Phalanx hat sich da aufgestellt, quer durch alle Schichten, Fan-Gruppen und Kulturressorts, mit Rückendeckung von Alfred Hilsberg, Bernadette LaHengst, Dorothea Dieckmann, Hans Nieswandt, Alfred Goebbels, Katrin Achinger, den Bands Calexico und Lambchop und viele andere mehr. Ted Gaier von den Goldenen Zitronen bringts auf den Punkt, dass der HR besonders mies, aber nicht allein dasteht: Diese "Apparatschiks, die seit Jahren an den letzten Resten seriösen Popdiskurses im Radio sägen, hassen die Tatsache, dass Musik mehr sein kann als pure Unterhaltung." Dass man sich diesem Verblödungsprozess nicht ergeben darf, darauf verweisen zwei Mitarbeiter des Bayerischen Rundfunks: Nach einer ähnlichen Kampagne wurde der dortige "Zündfunk" gerettet. Wahrscheinlich aber kichern die HR-Chefs nur über den guten Rat eines "Ball"-Fans: "Der HR braucht Klaus Walter viel nötiger als umgekehrt." Während ich dies schrieb, hörte ich Walter eine Stunde lang auf BR2. Und man kann ihn jede Woche ein paar Stunden im Internetradio byte.fm mhören. Der Ball ist rund, und ein Eigentor schlecht - es sei denn, das Spiel ist manipuliert.
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