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Syriens Wirtschaft öffnet sichWandel durch Handel

Nach Jahrzehnten der Abschottung liberalisiert sich die syrische Wirtschaft und bringt auch eine politische Öffnung mit sich. Ein Städterundgang.

Arabische Süßigkeiten werden noch immer gut verkauft: Ein Händler in Damaskus sorteiert seine Waren. Bild: ap

Ein lindgrüner heißer Brei wabert in einem Betonbecken. Die rostige Eisenleiter, die zum Beckenrand führt, die zerbeulten Öl- und Sodafässer in den Ecken, der altersschwarze Fußboden - alles ist glatt und glitschig. Denn hier wird Seife hergestellt, die berühmte Olivenseife aus Aleppo. Einige Stunden später wird dann die Suppe auf dem Fußboden eines Nachbargewölbes verteilt und von Hand in Blöcke geschnitten, bevor sie erstarrt. Abdul Badih Zanabili, der Inhaber der Seifensiederei, sitzt mit einem warmen Mantel und einer Wollmütze angetan in seinem Kabuff am Eingang und wärmt sich die Hände an einem Stöfchen. "Ich stelle seit 70 Jahren Seife her", erklärt er. "Es gibt unterschiedliche Sorten, je nachdem, wie viel Lorbeeröl man hineintut. Aber an der Herstellung an sich hat sich seit Jahrhunderten nichts geändert."

Das ist genau das Problem. Bis vor einigen Jahren wusch man in allen syrischen Haushalten mit dieser Kernseife die Wäsche, spülte das Geschirr und benutzte sie zum Baden und Haarewaschen. Doch inzwischen ist Konkurrenz für die unhandlichen gelblichgrünen Klötze aufgetaucht. "Ich benutze sie nur noch zum Händewaschen", sagt Rana Rishi. "Ansonsten kaufe ich Waschpulver und Shampoo." Die 24-jährige Rana ist gerade zu Besuch bei ihren Eltern in einem wohlhabenden Neubauviertel von Aleppo, Welten entfernt von der armseligen Seifensiederei in der Altstadt. Schwere Perserteppiche bedecken den Fußboden, Kristalllüster tauchen den Salon in gleißendes Licht. Ranas Vater Adil Rishi ist Inhaber einer kleinen Textilfabrik vor den Toren Aleppos und muss über die Jahre gut verdient haben. Doch die Situation scheint sich zu ändern. Der 58-Jährige reicht Ranas Erstgeborenen, den er im Wiegeschritt in der Wohnung spazierengetragen hat, an seine Frau weiter, lässt sich in einem Polstersessel nieder und hebt an zu klagen. "Früher schützte der syrische Staat unsere lokalen Produkte gegen Waren aus dem Ausland. Aber jetzt gibt es starken Druck aus dem Ausland, dass der Staat den Markt öffnen muss. Das führt zu einem Rückgang der syrischen Produktion, weil Ware aus China oder Korea meist billiger ist."

Sanktionspolitik

2003 hat US-Präsident George W. Bush Sanktionen gegen Syrien verhängt und das Land zum "Schurkenstaat" erklärt. Laut Samir al-Taqi vom regierungsnahen Thinktank Orient Center for Studies in Damaskus wurde das syrische Regime dadurch innenpolitisch gestärkt. Yassin Haj Saleh, zur demokratischen Opposition gehörend, meint dagegen, das Regime habe die äußere Bedrohung schon immer zum Vorwand für Repressionen genommen. Kürzlich wurden 12 Unterzeichner der "Damaskus-Erklärung",die unter anderem ein Mehrparteiensystem und eine Aufhebung des seit 1963 geltenden Ausnahmezustands gefordert hatten, zu je zweieinhalb Jahren Gefängnis verurteilt. Einig sind sich al-Taqi und Yassin, dass Sanktionen der falsche Weg sind, Syrien zu demokratisieren, und der EU-Ansatz der Einbindung Syriens mehr Erfolg verspricht. ANT

Ob nun der Druck aus dem Ausland dafür verantwortlich ist oder die Erkenntnis des syrischen Regimes, dass Staatswirtschaft und Abschottung über kurz oder lang in den Bankrott führen: Die Uhren, Batterien, Schlüsselanhänger und Feuerzeuge, die auf den Bürgersteigen der Großstädte zum Verkauf ausliegen, die langen Frauengewänder und schwarzen Tschadors aus Polyester, die in dämmrigen Geschäften in Reih und Glied hängen, die bunte Plastikware in den Haushaltwarenlädchen, ja selbst die Hirtenstäbe, die in einer dämmrigen Nische im Suk von Aleppo angeboten werden, fast alle kommen sie mittlerweile aus Asien. Das ist Segen und Fluch zugleich. Segen, weil diese Ware billig ist und insofern für die Syrer erschwinglich, so dass sie, nach langen Jahren pseudosozialistischer Mangelwirtschaft, nun ihre Konsumbedürfnisse befriedigen können. Fluch, weil die Billigware die einheimischen Produkte verdrängt und damit immer mehr Kleinunternehmen in den Bankrott zwingt.

Mohammed Berro hat für Konkurrenzängste nicht wirklich Verständnis. "Die syrische Industrie war früher hervorragend. Weil es keine Konkurrenz gab, ist sie immer schlechter geworden", erklärt er. "Sie muss ihre Qualität verbessern, um sich behaupten zu können." Mit 17 Jahren landete Mohammed Berro im Gefängnis - nur weil er mit Islamisten befreundet war, wie er sagt. Während seine Freunde gehängt wurden, bekam er, weil noch minderjährig, die Milde des Staates zu spüren in Form von 13 Jahren Gefängnis im berüchtigten Knast von Palmyra, das in Syrien Todmor heißt. "Nach solch einer Erfahrung hat man vor nichts mehr Angst", versichert er.

Sehr islamistisch wirkt Berro nicht: Er trägt einen Hut, die westliche Kopfbedeckung par excellence, und ist dadurch immer schon von weitem zu erkennen, was vermutlich auch die syrischen Geheimdienste freut. Dabei spricht der 46-Jährige gar nicht viel über Politik, sondern lieber über Wirtschaft. Er handelt mit Ware aus der Türkei und aus China. In seinem engen, kleinen Büro in Aleppo liegen und stehen überall Plastikrohre und Verbindungsstücke mit türkischer Aufschrift. "Die Türkei ist teurer als China", erklärt Berro, "aber die Ware ist innerhalb von ein paar Tagen da. Bei China dauert es Wochen."

Das Interesse an Politik wurde den meisten Syrern in 45 Jahren Assad-Diktatur abgewöhnt. Was nicht heißt, dass nicht geklagt würde. Ein Taxifahrer weist auf eine lange Autoschlange vor einer Tankstelle und schimpft: "Es gibt schon wieder keinen Diesel, obwohl wir in Syrien Erdöl fördern." Und woran liegt das? "Al-Hukuma, die Regierung", knurrt dann dieser Taxifahrer zwischen den Zähnen. Oder er weist zur Antwort mit dem Daumen in Richtung Himmel: "Die da oben, die taugen nichts."

Verbreitet sind halblaute, spöttische Bemerkungen über die vielen überlebensgroßen Konterfeis des aktuellen Staatschefs Baschar al-Assad sowie seines Vaters und Vorgängers, Hafis al-Assad. Und Klagen über die Teuerung.

In Damaskus sind die Immobilienpreise in die Höhe geschossen, weshalb immer mehr Damaszener in die Vororte ziehen müssen, in charakterlose Neubausiedlungen, lieblos in die Pampa gesetzt, ein paar Straßen dazwischen, kein Baum, kein Strauch, kein städtisches Leben - Vor-Orte im Wortsinn. "Die Reichen werden reicher und die Armen ärmer. Das ist die große Herausforderung für die Regierung, nicht der Druck des Auslands", meint Ibrahim Hamidi, der Korrespondent der großen arabischen Tageszeitung al-Hayat. "Die aktuellen Probleme in Syrien sind wirtschaftlicher, nicht politischer Natur."

Die Armut hat viele Gesichter. Es sind die abgewetzten Hosen der Kinder, die ausgetretenen Schuhe der alten Leute, die mit Tesafilm geflickten Brillenfassungen, die ungeheizten Räume, die Pappkartons in den Fensterhöhlungen. Hungerbäuche gibt es nicht in Syrien, aber viel graue Ärmlichkeit. Da früher fast alle sehr bescheiden lebten, wird die neue Ungleichheit mit wachsender Verbitterung wahrgenommen. "Manche Leute hier haben vier Autos, für jeden Sohn eins", schimpft ein pensionierter Staatsangestellter.

An der Förderung der Privatwirtschaft seitens der Regierung verdienen einige Hansdampfs in allen Gassen wie Berro, vor allem aber eine reiche, mit dem Regime verbandelte Oberschicht. Viele dieser neuen Reichen sollen im Libanon gute Geschäfte gemacht haben, als Syriens schwere Hand noch auf dem Nachbarstaat lastete. Nun bauen sie die traditionellen kleinen Familienklitschen zu großen, konkurrenzfähigen Unternehmen aus. In der Textil- wie in der Pharmabranche sind inzwischen moderne Unternehmen entstanden, die Autoindustrie wächst (mithilfe der Iraner) ebenso wie Zementfabriken.

Die neuen Zeiten verändern das Bild der Großstädte. Unter die alten, zerbeulten Taxis mischen sich nagelneue Jeeps mit Allradantrieb, zwischen den grauen, bröckelnden Fassaden stechen nun Markenläden wie Benetton und Nafnaf hervor. In den schicken, taghell erleuchteten "Inhouse Coffees" kostet ein Caffè Latte allerdings so viel wie eine komplette Mahlzeit in einem traditionellen Restaurant. Deshalb ziehen diese Cafés junge, schicke Menschen mit Laptop und Handy an - die älteren Männer in den mausgrauen Wollmänteln bleiben hingegen den dämmrigen, staubigen, gemütlichen Kaffeehäusern mit den knarrenden Holzstühlen treu.

Auch wenn sie Ungleichheit schafft, hat die Wirtschaftsöffnung laut Ibrahim Hamidi letztendlich doch positive Auswirkungen auf andere Bereiche. "Wir, die wir hier leben, können feststellen, dass sich seit einigen Jahren etwas verändert. Es gibt jetzt private Banken, private Universitäten, moderne private Cafés. Studenten werden auf Englisch unterrichtet. Es gibt Internetzugang, private Fernsehstationen, Zeitungen und Radios."

So richtig privat ist das zwar alles nicht, überall steckt noch die Hand des Staates. Aber eine Monatszeitschrift wie Syria Today kann es sich mittlerweile zum Beispiel erlauben, die Trägheit der Behörden zu kritisieren. Das staatliche Fernsehen dient offenbar nur noch dem Erhalt von Arbeitsplätzen - die Syrer gucken jedenfalls geschlossen al-Arabiyya oder al-Dschasira, die beide aus den Golfstaaten senden. Und was das Internet angeht, so bemüht sich die Regierung zwar, es unter Kontrolle zu halten, indem bestimmte Seiten gesperrt und vor wichtigen Ereignissen die Namen der Nutzer von Internetcafés aufgeschrieben werden. Dennoch schießen überall Internetcafés wie Pilze aus dem Boden. In einem Café im Zentrum von Aleppo etwa lungern im Hauptgastraum die Kellner zwischen leeren Tischen herum, und in der Vitrine wird der Kuchen ranzig - die Kundschaft sitzt ein Stockwerk höher vor dem Computer, liest BBC und die syrienkritische libanesische Presse. Und chattet um die Welt.

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