Nebensachen aus Moskau: Kulturelle Evolution des stillen Örtchens

KOLUMNE VON KLAUS-HELGE DONATH

Experten der Abwasserwirtschaft und Stadtverordnete trafen sich unlängst zu einem runden Tisch. Um "Moskaus öffentliche Toiletten - eine kulturelle Evolution?" kreiste die Diskussion. Die Toilette in Russland stellt nicht nur einen funktionalen Ort der Notwendigkeit dar, dessen Odeur mal mehr oder weniger im Gedächtnis haften bleibt. Der Abort ist ein Gegenstand kultureller, literarischer und philosophischer Betrachtungen, ja selbst politischer Zielsetzungen. Unter Präsident Putin kam das Klo zu besonderen Ehren, als der versprach, aufständige Tschetschenen schon auf dem "Donnerbalken" zu vernichten.

Mehr noch: Der Abtritt ist ein Merkmal der Distinktion, eine Wasserscheide zwischen westlich orientierten Kräften und jenen, die auf einem russischen Sonderweg beharren. Sind für jene Nutzung und Zustand des Klosetts Maßeinheiten auf einer Skala von "Freiheit und Diktatur", rühmen Letztere, darunter der nationalistische Poet Alexei Schiropajew, das Häuschen vor russischen Bahnhöfen als ein unverzichtbares Charakteristikum - eine "Festung Asiens".

Für Unkundige: Wer kann, meidet die buchstäblich öffentlichen, weil türlosen Loki der Defäkation. Mancher Tourist ist davon mehr beeindruckt als von Kreml und Tretjakowski-Galerie, klagte Kulturhistoriker Lipkow. Das Klobecken als Symbol eines Unbehagens an Zivilisation findet sich auch in Eisensteins Revolutionsklassiker "Sturm auf das Winterpalais". Die Zertrümmerung der zaristischen Kloschüsseln ist zunächst ein Akt der Befreiung von zivilisatorischer Einengung und erst in zweiter Linie Manifestation des Klassenhasses.

Das anhaltend ambivalente Verhältnis zu Sanitäreinrichtungen war denn auch der Hintergrund des runden Tisches. Die 12-Millionen-Metropole unterhält 263 stationäre Einrichtungen und 312 mobile Kabinen. Das reicht hinten und vorne nicht. Hinzugefügt sei noch, dass die meisten nur bis 19 Uhr geöffnet sind. So wird ein Stadtbummel schnell zum Orientierungslauf.

Das antike Rom, das früh erkannte, wie sich dringendes Bedürfnis zu geruchsneutralem Gewinn transformieren lässt, verfügte bereits über 144 Loci bei weit weniger Bedürftigen. Die sanitäre Aufrüstung trifft in Moskau nach wie vor auf hartnäckigen Widerstand. Die Kulturanthropologie begründet dies mit der späten Urbanisierung und ungeheuren Weite des Landes.

Der Stadtabgeordnete Iwan Nowizki will dem Mangel nun energisch zu Leibe rücken. Bis spätestens 2025 werde Abhilfe geschaffen, versprach er. Der Vorsitzende des "Russischen Toilettenverbands" gemahnte indessen zu Gelassenheit. In anderen europäischen Großstädten sei die Lage nicht besser, meinte der mit seinem "Klomobil" weit gereiste Wladimir Moksunow. Er wittert in der ökonomischen Krise sogar die Chance, an Russlands weltweit führende Rolle im "Toilettenwesen" des 19. Jahrhunderts anzuknüpfen. Neben neuen Technologien seien das "Damenpissoir" und die "Klobank mit mehreren Becken" damals originäre russische Erfindungen gewesen. Sollte dies zutreffen, sind sie wohl in den Export gegangen.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.