Architektur und Film: Das Haus und die Heimat
Nüchternes Bauhaus und orientalisches Ornament. Die Münchner Pinakothek präsentiert die Ausstellung "Munio Weinraub, Amos Gitai - Architektur und Film in Israel".
Wenn Architektur in populären Medien oder Ausstellungshäusern vorgestellt wird, beschränkt sich der Blick meist auf aktuell fertiggestellte, möglichst spektakuläre Bauformen, gerne auf solche global operierender Architektenstars. Diffizilere Facetten der Architekturreflexion werden einer Handvoll Museen und Sammlungen mit entsprechendem Auftrag überlassen. Das Architekturmuseum der TU München hat nun mit der Doppelausstellung "Munio Weinraub und Amos Gitai - Architektur und Film in Israel" einen interdisziplinären Rahmen gesteckt, der die gern verdrängte politische Dimension jeden künstlerischen Arbeitens, also auch des architektonischen, anreißt: Da ist zum einen das Lebenswerk von Munio Weinraub (1909 bis 1970), hebräisiert zu Gitai, der ein führender Architekt im zionistischen Neuen Bauen in Israel war, das unter bester Bauhausprägung stand. Zum anderen ist da sein Sohn Amos Gitai (geboren 1950), der in Dokumentar- und Spielfilmen aus dem Blickwinkel der postzionistischen Generation einen kritischen Standpunkt zu Themen und Problemen bezieht, die seit der Gründung und durch die Gründung des Staates Israel bis heute virulent sind.
Einen Schlüssel zu beider Werk bildet das hebräische Wort "Bait", das mit Haus und Heim, aber auch in einem abstrakten Sinne mit Heimat übersetzt wird. Die hebräische Sprache und das jüdisch-israelische Bewusstsein scheinen mit diesem Begriff einen ganzen Kosmos an Konnotationen aufschließen zu wollen, der weit über die materielle Realität eines umbauten Raumes und seine spezifische Verankerung in Landschaft oder Stadt hinausreicht. Denn nicht nur eine psychologische Deutung, das Behausen als Beschützen beispielsweise, auch eine politische ist damit impliziert, die des jüdischen Staates als kollektivem Gebäude, "das uns erlaubt, in Frieden zu träumen", wie Gaston Bachelard es formulierte.
Im britischen Mandatsgebiet Palästina, ab 1948 im Staat Israel, fiel dem Bauen für die jüdischen Besiedlungswellen eine wesentliche Rolle nationaler Identitätsstiftung zu. Während mit der Revitalisierung der hebräischen Sprache an einen alten semitischen Befund zur Assimilierung der Immigranten verschiedenster Nationalitäten angeknüpft wurde, erschien die ästhetische Tabula rasa der Moderne in ihrer universalistischen Neutralität das visuelle Sinnbild eines fortschrittlichen, technisierten und auch säkularen Gemeinwesens.
Munio Weinraub war, wie viele der ab 1933 nach Israel emigrierten mitteleuropäischen Architekten, international orientiert. Aufgewachsen im ukrainisch-schlesischen Grenzgebiet, entschied er sich 1930 zum Studium am Bauhaus in Dessau, zu einem Zeitpunkt, als unter der Direktion von Hannes Meyer eine stark politisierte Gestaltungslehre vorherrschte. Meyers Forderung einer "sozialen Form", einer ausschließlich auf die Bedürfnisse des Menschen abgestimmten funktionalen Architektur, wurde bestimmend für sein Werk.
Ohne noch einen Hochschulabschluss in Deutschland erlangen zu können, gründete Weinraub unmittelbar nach seiner Ankunft 1934 in Palästina sein Architekturbüro im industriell geprägten roten Haifa. Sein Werkverzeichnis beläuft sich auf über 250 Bauten und städtebauliche Planungen, die das ganze Spektrum von Wohn-, Industrie- und Bildungsbauten, von Synagogen bis zur Memorialanlage Jad Vaschem umfassen, deren Planung Weinraub bereits 1942, als Informationen über den Holocaust in Deutschland nach Israel durchdrangen, ohne offiziellen Auftrag begann. Emblematisch, aber in Israel singulär geblieben, ist Weinraubs Rassco-Wohnbau von 1959 in Haifa: zwei elfgeschossige Hochhausscheiben in Hanglage, die über eine Brücke erschlossen werden. Eine frei gehaltene Ebene auf dem fünften Niveau dient als kommunikatives Gemeinschafts- und Zirkulationsgeschoss, ähnlich wie es Le Corbusier in seinen "Wohnmaschinen" eingeführt hatte.
Objekt und Metapher Haus bearbeitet auch Amos Gitai, selbst ausgebildeter Architekt, in seinen Filmen. In "Bait/House" von 1980 beispielsweise rekonstruiert Gitai Geschichte, Eigentumsverhältnisse und Urheberschaft eines verfallenen, in Sanierung befindlichen Hauses, dessen orientalische Ornamente an seine früheren Besitzer erinnern: Palästinenser, die 1948 während des israelischen Unabhängigkeitskrieges fliehen mussten, um zu überleben. "Bait" wurde wegen seiner unmissverständlichen politischen Allegorik in Israel ebenso verboten wie seine Filme aus dem besetzten Westjordanland. Amos Gitai jedoch beharrt auf künstlerischer Autonomie und darauf, dass Kunst immer auch politisch sei: "Sogar Menschen, die sehr viel gelitten haben, können anderen Menschen Leid zufügen. Und wenn sie das tun, sollte man sie kritisieren. Ich glaube, ein kritischer Blick ist konstruktiv."
Bis 8. Februar 2008, Architekturmuseum in der Pinakothek der Moderne, München, Katalog (Edition Minerva) 35,- €
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!