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Italiens FlüchtlingspolitikWutausbruch auf der Gefängnisinsel

Seit Italiens Regierung beschlossen hat, afrikanische Flüchtlinge auf Lampedusa festzusetzen, protestieren Inselbewohner und die Neuankömmlinge gemeinsam.

Konfrontation zwischen Immigranten und der Polizei außerhalb des Aufnahmelagers am 23. Januar. Bild: dpa

"Libertà, libertà!", rufen die gut 1.000 Menschen, in großer Mehrzahl Tunesier, kaum haben sie am Samstagvormittag das Tor des Lagers aufgebrochen und sich auf den Marsch zur Piazza von Lampedusa aufgemacht. "Freiheit, Freiheit!" - das hat es auf der 205 Kilometer südlich von Sizilien gelegenen Insel noch nie gegeben. Die dort festgehaltenen Bootsflüchtlinge nehmen sich einfach ihre Freiheit. Polizisten und Carabinieri versuchen erst gar nicht, den Massenausbruch zu verhindern, und die Inselbewohner empfangen die Immigranten auf der Piazza mit begeistertem Beifall. Schließlich revoltieren auch sie seit Tagen. Am Freitag versammelten sich 4.000 der insgesamt bloß 6.000 Lampedusaner zu einer Kundgebung vor dem Flüchtlingsaufnahmelager, sämtliche Läden auf der Insel blieben geschlossen, um gegen die Hardliner-Politik von Innenminister Roberto Maroni zu protestieren.

Der hatte in den letzten Wochen den Druck im Kessel Lampedusa systematisch und absichtsvoll erhöht. Die geografisch zu Afrika gehörende, bloß 100 Kilometer von der tunesischen Küste entfernte Insel ist in den vergangenen zehn Jahren zum Hauptanlaufpunkt jener Flüchtlinge geworden, die den riskanten Weg übers Mittelmeer wählen; etwa 30.000 Menschen landeten im vorigen Jahr hier. Nach einem Aufenthalt von ein bis zwei Tagen wurden alle in Lager auf Sizilien oder auf dem italienischen Festland geschafft, wo über Asylanträge und Abschiebungen entschieden wurde.

Seit Weihnachten aber ist alles anders. Maroni hat angeordnet, dass kein Flüchtling mehr die Insel verlässt. "Wer auf Lampedusa ankommt, bleibt dort bis zu seiner Rückschaffung", heißt seine Losung. Wenig schert es den Minister, dass das Lager mittlerweile aus allen Nähten platzt. Eigentlich für 300 Personen vorgesehen, mit Notkapazitäten für weitere gut 500 Menschen, beherbergte es in den letzten Tagen 1.800 Bootsflüchtlinge. Mittlerweile schlafen die Menschen in den Korridoren, in den Verwaltungsbüros, ja selbst auf dem Hof unter notdürftig gespannten Planen und unter katastrophalen Hygienebedingungen.

"Es herrscht kein Notstand", verkündet Maroni dennoch unverdrossen. Das Problem will er lösen, indem neben er dem Aufnahmelager auf einer ehemaligen US-Militärbasis ein weiteres Camp errichtet, ein "Identifizierungs- und Abschiebelager". Damit aber hat er endgültig die Inselbewohner gegen sich aufgebracht.

"Guantánamo" und "Alcatraz" sind die Stichwörter, die die Einheimischen immer wieder in den Mund nehmen, wenn es um das neue Lager geht, und um den Plan des Innenministeriums, die Flüchtlinge nicht mehr von der Insel zu lassen, sondern Italiens Probleme mit der südlichen Seegrenze komplett von dort aus abzuwickeln: Lampedusa werde so zu "einem Gefängnis unter freiem Himmel", fürchten die Insulaner, deren Hauptverdienstquelle der Tourismus ist.

Und in diesem einen Punkt treffen sie sich mit den Immigranten, die ihnen bisher bloß als Ärgernis galten. Die Verbrüderungsszenen vom Samstag: Sie stehen für ein Zweckbündnis gegen die Regierung.

Die gibt sich jedoch weiter völlig unbeeindruckt - auch um den Preis einiger Widersprüche im PR-Auftritt. Ministerpräsident Silvio Berlusconi erklärte ebenso trocken wie wahrheitswidrig, am Samstag habe es "gar keinen Massenausbruch aus dem Lager" gegeben. Schließlich sei das Camp kein Gefängnis, und die Insassen hätten bloß beschlossen, "ein Bier trinken zu gehen". Maroni dagegen drohte den Kommunalpolitikern der Insel unverhüllt mit Verfolgung, schließlich seien "Verhaltensweisen, die die klandestinen Einwanderer aufstacheln, strafrechtlich relevant".

Erst einmal aber hat Maroni für Dienstag einen Trip nach Tunis geplant. Dort will er Präsident Ben Ali die Zustimmung zur direkten Rückschaffung der über 1.000 auf Lampedusa festgehaltenen Tunesier abhandeln.

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10 Kommentare

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  • A
    Aurelius

    Es stimmt wohl, dass die Europäer die Probleme der Afrikaner nicht lösen, indem sie ungebremst wirtschaftliche Flüchtlinge aufnehmen. Hier wird zwar nicht das Boot gleich voll, aber Probleme werden unausweichlich sein. Ich glaube auch, dass diese Menschen eigentlich ihre Heimat lieben und im Prinzip gar nicht in Europa leben möchten.

     

    Die Lösung ist dass wir wir zu ihnen kommen -

    die Antwort ist im Prinzip nur Entwicklungshilfe weiter aufzubohren, wie man sie seit Jahrzehnten bereits leistet, teils aus Humanität, teils aus schlechtem Gewissen, dass die Kolonisation wohl ihren Beitrag zur Misere Afrikas geleistet hat, und teils sicher auch aus schlichter Angst vor dem Druck, der nun mehr und mehr entsteht. Sicher sind unter den Flüchtlingen auch Menschen dabei, die ihren Platz in unserer Gesellschaft finden, genauso werden aber welche dabei sein, die ihn nicht finden und die sich letztlich im kriminellen Millieu oder auf der Gehaltsliste der Sozialämter wiederfinden. Vielleicht kann man das Problem nicht anders lösen als es zur Zeit getan wird: Menschen zurücksenden, wenn sie keine tödlichen Gebrechen haben, denn dort wo sie herkommen können sie im Zweifel mehr für ihre Gesellschaft tun als bei uns. Die Gutmenschelei bringt uns an der Stelle nichts. Mag sich mal jeder selbst fragen, ob er sich neben seiner Bleibe eine Sammelunterkunft für Afrikaner wünscht, die noch nicht mal einen Cent besitzen geschweige denn ihre eigene Wohnung finanzieren können.

  • JP
    Joachim Petrick

    Die gegenwärtige Finanz- und Wirtschaftskrise legt die asymmetrischen Verhältnisse in unserer Einen Weltwirtschaft per monetärem Sichelschnitt dramatisch offen, wo die USA,EU,Japan, Australien, Kanada, China, Russland sich durch Rettungsschirme, Rettungspakete steuerfinanziert protektionistisch von anderen Regionen abschirmen, gleichzeitig aber starke Signale in die Anrainer- Regionen Afrika, Mexiko u. u. senden, damit Illegale in den Wirtschaftszentren, der Agrarindustrie im $, €, Yen, Pfund Sterling Raum versklavt zu Dumpinglöhen Arbeit an bestehenden Arbeitsgesetzen vorbei aufnehmen.

     

    Wer gegen die Flüchtlingsströme aus Afrika, Osteuropa, Asien, Mexiko vom Grunde her Veränderungen herbeiführen will, kommt nicht daran vorbei, ökonomisch Rettungsschirme über diese Regionen zu spannen, damit die nicht mehr „Human- Kapital“ wie Fischerei- Rechte ins Ausland verhökern, sondern zum Wohl und Gedeih der Menschen selber im Lande diese in Persepktiven, Entwicklung, Ausbildung, Bildung, Hilfe zur Selbsthilfe investierend halten.

    Das ist nun wirklich kein italienisches, sondern ein dringliches Thema auf der Agenda des EU-Parlaments in Brüssel.

    tschüss

    JP

  • S
    Samuel

    Lieber Herr Braun,

     

    das Auffanglager auf Lampedusa ist nicht verschlossen, es herrscht für die Bewohner auch keine ständige Aufenthaltspflicht. Das Lager ist also nicht überfüllt, weil ankommende Flüchtlinge etwa nach ihrer Ankunft gegen ihren Willen dort hineingesteckt werden, sondern weil es schlicht keinen anderen Ort gibt, wohin sie gehen könnten. Von einem "Ausbruch" zu schreiben ist daher also ebenso unangebracht, wie Ihre Verwunderung über das Nicht-Eingreifen der Polizei. Warum sollte sie?

     

    Grüße,

    Samuel

  • KK
    Kater Karlo

    Du sagst das Boot ist voll,

    aber neben mir ist noch ein Platz frei.

     

    Die Kommentare hier machen mir echt Angst, ich glaube die "Weltnetzseite"der Jungen Freiheit braucht dringend mal ne Kommentarfunktion.

  • I
    ich

    Benevoglio:

    Les gefällichst deine eigenen PI-news und nicht taz.de!

  • S
    SgtAwesome

    @26.01.2009 12:52 Uhr:

    Von Pas Materski

     

    Ihnen ist aber schon bewusst daß man für den Aufenthalt in einem Robinsonclub bezahlt?

    Und daß man da auch gar nicht ewig bleiben möchte sondern die Dauer des Aufenthalts vorher festgelegt wird ist ihnen auch nicht entgangen, oder?

    War wohl eher ein Vergleich der schwächeren Sorte.

  • PM
    Pas Materski

    ja ticken die noch?

    überbelegung ist richtig übel. das kann doch schon theoretisch auch nur einen tag lang geduldet sein.

    im europäischen sinne kann man doch nicht zusehen und abwarten, besser wird es wohl nicht .

    und an die abschieber unter uns, ich finde ihr solltet wohin geschaft werden. denkt drann in eurem robinson-club. das sie euch da verknasten und zurückschaffen, nämlich zu mutti, wie jeder gute italiener leben würde.

  • V
    vic

    "...ein Bier trinken gehen..."

    Berlusconi sagt, das Lager ist kein Gefängnis. Wozu dann Zäune, wenn das so ist können sich die Eingesperrten also künftig frei bewegen?

    In Italien muss allerdings man schon froh sein, dass auf die Leute nicht geschossen wird.

  • B
    Benevoglio

    Keine Flüchtlinge, sondern illegale Einwanderer

     

    Die Wortwahl offenbart das „taz“-typische Gutmenschen-Getue. Bei den sog. Flüchtlingen handelt es sich, zumal bei den Tunesiern, um illegale Einwanderer, die in Europa ein besseres Leben suchen. Fast alle europäischen Länder haben selbst hohe Arbeitslosenraten und brauchen keine weiteren zusätzlichen (zumeist ungelernte) Arbeitskräfte und erst recht keine Einwanderer in die Sozialsysteme. Daher müssen alle EU-Länder auf eine schnelle Abschiebung dieser unerwünschten Gäste in deren Heimatländer dringen. Europa kann die Probleme der afrikanischen Länder niemals lösen. Eines der größten Probleme ist das ungebremste Bevölkerungswachstum. Beispiel Tunesien: 1971 hatte das Land 5,25 Millionen Einwohner, 2002 war die Zahl auf 9,78 Millionen gestiegen., also fast eine Verdopplung in gut 30 Jahren. Es gibt keine nennenswerten Anstrengungen in Tunesien, um das Bevölkerungswachstum zu stoppen.

    Ähnliche, z.T. noch dramatischere Zahlen gibt es für alle anderen afrikanischen Länder. Ganz gleich, wie viele illegale Einwanderer nach Europa kommen würden, es wird niemals reichen, um in den Herkunft-Ländern eine spürbare Entlastung zu bewirken. Daher hilft eben nur eine rigorose Abschiebepolitik, damit jeder begreift, daß ein Durchkommen nach Europa nicht möglich ist.

  • A
    Arminius

    Mitleid mit den Afrikanern auf Lampedusa ist unangebracht. Diese haben es selbst in der Hand, ihren Aufenthalt auf der Insel zu beenden und in ihre Heimatländer zurückzukehren.