Tatort Hongkong: Ein Ort für Zyklopen
Ein permanentes visuelles Chaos: Dante Lams chinesischer Actionthriller "The Beast Stalker" (Forum) präsentiert die Stadt Hongkong als eine zersplitterte Form.
Eine halsbrecherische Autoverfolgungsjagd durch die Hongkonger Innenstadt: Der Gangster Cheung Yat-tung ist auf der Flucht, der Polizist Tong Fei ihm dicht auf der Fersen. Es kommt zu einem Crash mit anschließendem Schusswechsel. Es gelingt Tong Fei, den Schwerverbrecher zu fassen, doch dabei erschießt er versehentlich ein Mädchen, das im Kofferraum von Cheungs Wagen gefangen gehalten wurde.
Dieses Ereignis, der Tod des Mädchens, steht im Zentrum von Dante Lams Actionthriller "The Beast Stalker". Immer wieder kehren wir zu ihm zurück, umkreisen es, durchleben es aus unterschiedlichen Perspektiven und begreifen erst allmählich, wie es überhaupt dazu kommen konnte. Ein bisschen fühlt man sich an Alejandro González Iñárritus "Amores Perros" erinnert, wo ebenfalls ein mehrfach gezeigter Autocrash unterschiedliche Menschen in tragischer Weise miteinander verbindet.
Als Cheung Yat-tung die jüngere Tochter der Staatsanwältin, die Schwester des getöteten Mädchens, entführen lässt, um die Staatsanwältin zu zwingen, wichtiges DNA-Beweismaterial verschwinden zu lassen, erhält Tong Fei die Chance, seinen fatalen Fehler wieder gutzumachen. Er begibt sich auf die Spur des Entführers, setzt geduldig Mosaiksteinchen für Mosaiksteinchen zusammen, bis es ihm gelingt, dessen Versteck aufzuspüren. In "The Beast Stalker" wird weitgehend auf eine genreübliche Schwarzweißzeichnung der Figuren verzichtet. Der Polizist ist ein Choleriker, der Entführer selbst ein Opfer Cheungs, für den man, als er schließlich geblendet wie ein Zyklop durch die Finsternis seines selbst geschaffenen Gefängnisses stapft, durchaus Empathie aufbringen kann.
Was diesen Film zu einem so außergewöhnlichen Kinoerlebnis macht, ist seine Kameraarbeit, die einem die Stadt Hongkong als Skulptur aus Stahl und Beton präsentiert. Aus den seltsamsten Winkeln und Perspektiven haben die Kameramänner Cheung Man-po und Tse Chung-to ihre Heimatmetropole abgelichtet. Immer wieder filmen sie durch offene Türen oder Fenster und fragmentieren so den Bildausschnitt. Mit schnellen Zooms, extremen Close-ups oder untersichtigen Einstellungen schaffen sie zudem ein permanentes visuelles Chaos. Dieses ist jedoch nie ästhetizistischer Selbstzweck, sondern dient stets dazu, die permanente Desorientierung Tong Feis in adäquate Bilder zu fassen.
"The Beast Stalker". Regie: Dante Lam. Mit Nicholas Tse, Nick Cheung, Zhang Jingchu, Miao Pu. Hongkong, China 2008, 111 Min. 14. 2., 19 Uhr, CineStar
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