Banken-Verstaatlichung: Fürchtet euch nicht!

Angela Merkel erwägt eine Verstaatlichung der Hypo Real Estate. Droht der Weg in den Sozialismus? Und wieso eigentlich "droht"? Und was sagen Marx und Engels dazu?

Plötzlich wieder Teil der Debatte: Marx und Engels (vor den Ruinen des Palasts der Republik). Bild: dpa

Karl Marx war ein Gegner der Verstaatlichung - jedenfalls, was den Bereich von Bildung und Erziehung betrifft. Die Vorschläge der Sozialdemokratie, die Schulen staatlicher Trägerschaft zu unterstellen, wies er in der Kritik des Gothaer Programms mit Hinweis auf die gesellschaftliche Trägerschaft unter staatlicher Aufsicht in den USA vehement zurück. Staat, das war für Marx letztlich ein Repressionsapparat, auf dessen Absterben man nur hoffen konnte. Daher lässt sich leicht verstehen, warum die bewusste Indienstnahme staatlicher Repression in klassenkämpferischen Auseinandersetzungen, wie sie Lenin in finsterer Entschlossenheit befürwortete, zum Scheitern jedes auf Emanzipation und Gerechtigkeit zielenden Projekts führen musste.

Aufgrund seines demokratietheoretischen Defizits war Marx nicht in der Lage, zwischen Staat und Staatsapparat zu unterscheiden, und daher auch nicht der Einsicht zugänglich, dass ein demokratischer Staat mehr und anderes als nur ein Repressionsapparat ist. Marx verspielte Rousseaus Einsicht, dass der Staat nichts anderes als die institutionalisierte Form der republikanischen Bürgergesellschaft ist. Unter Rousseauschen Auspizien jedoch kann grundsätzlich nichts gegen die demokratisch kontrollierte republikanische Bürgergesellschaft als Unternehmer, Bankier oder eben Schulträger sprechen.

Wirtschaftsliberale Warnrufe, wie sie hierzulande von Friedrich Merz bzw. von republikanischen Mitgliedern des US-amerikanischen Repräsentantenhauses geäußert werden, können sich freilich auf eine in der Tat gewichtige und nicht dementierbare historische Erfahrung berufen: Das Scheitern der sowjetischen Zentralverwaltungswirtschaft hat unwiderleglich bewiesen, dass im Bereich der Gebrauchsgüter einzig und allein das blinde Suchinstrument des Marktes, also von Angebot und Nachfrage, flexibel genug ist, die Versorgung mit diesen Gütern zu gewährleisten. Im Bereich der öffentlichen Güter wie Bildung, Sicherheit, Information, Verkehr und - jedenfalls zum Teil - Gesundheit, ist es jedoch längst nicht nur üblich, sondern akzeptiert und notwendig, dass der demokratische Staat bzw. demokratisch gewählte gesellschaftliche Körperschaften diese Güter produzieren, anbieten und verteilen. Neoliberale Ideologen und Politiker haben zwar in den letzten Jahrzehnten versucht, auch diese öffentlichen Güter privaten Produzenten zu übereignen, diese Versuche - die vom Verkauf kommunaler U-Bahnen bis zum "Outsourcing" etwa von Arbeitsvermittlungsmaßnahmen reichen - sind indes allesamt ebenso eindrucksvoll gescheitert wie die sowjetische Zentralverwaltungswirtschaft.

Die aktuelle Krise scheint es nun den Regierenden der Bundesrepublik nahezulegen, Banken nicht nur zu unterstützen und zu kontrollieren, sondern einige von ihnen konsequent zu verstaatlichen, d. h. die privaten Anteilsinhaber gegen Entschädigung förmlich zu enteignen. Dagegen spricht grundsätzlich nichts: Das von neoliberaler Seite gebetsmühlenartig wiederholte Dogma, das Fiasko deutscher Landesbanken beweise, dass der Staat nicht wirtschaften könne, überzeugt schon allein deshalb nicht, weil es doch in den USA keineswegs staatlich gelenkte Banken waren, die die globale Finanzkrise verursacht haben. Und dass der Vorrang privaten Unternehmertums nur für Deutschland gilt, wird doch niemand ernsthaft behaupten wollen. Schließlich: Ob Manager von einer privaten Kapitalgesellschaft, einer Kapitalgesellschaft, deren Anteile zu beinahe 100 Prozent dem Staat gehören, oder direkt vom Staatsapparat angestellt und bezahlt werden, sagt rein gar nichts über ihre ökonomische Kompetenz aus.

Eine in diesen Fragen historisch nach wie vor wegen des Scheiterns des Staatssozialismus sowjetischer Machart geprügelte Linke sollte sich daher weder von ihren anarchistischen noch ihren weberianischen, bürokratiekritischen Instinkten ins Bockshorn jagen lassen. Wie so meist, so hat auch in dieser Frage das Grundgesetz recht: Der Aktienbesitz von Kapitalgesellschaften, also von juristischen Personen, gehört nicht zum unmittelbaren Kernbereich der Würde des Menschen oder der Entfaltung der Persönlichkeit, der Aktienbesitz natürlicher Personen aber steht unter der Maßgabe, dass auch dieses Eigentum verpflichtet.

Insoweit werden wir denn doch Zeugen einer Ironie der Geschichte: Zumindest Friedrich Engels war davon überzeugt, dass die inneren Gesetzmäßigkeiten kapitalistischen Wirtschaftens auch ohne Klassenkampf früher oder später zu einem wachsenden Anteil staatlicher oder gesellschaftlicher Anteile am privaten Eigentum führen werden. Ebendies scheint jetzt - weltweit - einzutreten.

Solange die staatliche Übernahme und das operative Geschäft demokratisch kontrolliert werden, muss davor auch niemand Angst haben, denn: Die Lehre aus dem mörderischen Scheitern des "realen Sozialismus" lautet nicht, dass staatliches oder Gemeineigentum an und für sich von Übel ist, sondern "nur", dass Parteidiktaturen, die die demokratischen Freiheiten mit Füßen treten, scheitern müssen. Man wird sehen, wie sich verstaatlichte Banken bewähren - funktionieren sie deutlich schlechter als private, dann werden sie eben wieder verkauft.

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