Politologe Schroeder über Hessen: "Abschied von der Sandkasten-SPD"

Die hessische SPD soll die vier Abweichler um Jürgen Walter in die Partei integrieren, rät Parteienforscher Wolfgang Schroeder.

"Es gibt keine Alternative zu ihm": SPD-Fraktionschef Thorsten Schäfer-Gümbel beim Karneval. Bild: dpa

taz: Thorsten Schäfer-Gümbel wird an diesem Samstag auf dem Landesparteitag der hessischen SPD zum neuen Landeschef gewählt werden. Vorsitzender der Landtagsfraktion ist er schon. Ist der Mittelhesse nur eine Not- und Übergangslösung? Oder kann er es tatsächlich schaffen, die Partei aus dem Tal der Tränen herauszuführen?

Wolfgang Schroeder: Er muss. Es gibt keine Alternative zu ihm. Die Erwartungen in der Partei sind groß; und natürlich ist das eine Herkulesaufgabe.

Andrea Ypsilanti, die einstige Hoffnungsträgerin der Parteilinken, hatte mit ihrem Verzicht auf eine Wiederwahl gleich nach der verheerenden Niederlage bei den Landtagswahlen im Januar den Weg für Schäfer-Gümbel an die Spitze der hessischen SPD frei gemacht. Ist sie jetzt Geschichte?

Ja. Aber diese Geschichte muss von der Partei nun behutsam und mit Augenmaß aufgearbeitet werden. Die Stunde der Wahrheitskommission kann gerade im Superwahljahr nicht schlagen; das kann auch der SPD im Bund nicht zugemutet werden. Man muss zu anderen Formen der Aufarbeitung kommen, die auch eine Versöhnung der Parteiflügel implizieren. Eine Befriedung per ordere de mufti ist nach all diesen Verletzungen nicht möglich.

Was wäre ein erster Schritt?

Man muss die vier Abweichler um Jürgen Walter vom rechten Parteiflügel wieder in die Partei integrieren.

Denen soll aber im März der parteiinterne Prozess gemacht werden?

Das wäre fatal. Deshalb sollte dies verhindert werden. Ohne eine gewisse Großzügigkeit lässt sich nicht vermeiden, dass die Partei weiter balkanisiert wird. Die einzelnen sollten weniger an ihre Partikularinteressen denken und mehr an die Partei als Ganzes.

Was muss die hessische SPD jetzt unternehmen, um so schnell wie möglich wieder politik- und auch koalitionsfähig zu werden; das Wahlergebnis mit nur 23 Prozent war ja ein Debakel für die einstige Hessenpartei.

Das geht nur mit einer deutlichen Kursänderung. Es heißt jetzt Abschied nehmen von der Sandkasten-SPD, wo sich unversöhnlich gegeneinander arbeitende Gruppen wechselseitig die Förmchen abnehmen. Die Partei braucht erwachsene also tolerante Politiker, die einen aufgeklärten Pragmatismus leben können. Vor allem müssen die meinungsbildenden städtischen Milieus beeindruckt werden. Denn in den hessischen Städten außerhalb Kassels hat eine regelrechte Ent-Sozialdemokratisierung stattgefunden.

Und Schäfer-Gümbel wohnt auf dem Land?

Eine Person alleine kann das sowieso nicht schaffen. Für den Wiederaufbau der Partei braucht es neue Gesichter und neue Organisationsformen. Schäfer-Gümbel sollte nach Persönlichkeiten, nach Brückenbauern, Ausschau halten, die beeindrucken. Und wenn es die in der Partei nicht gibt, muss er sie von außen holen. Aber auch im Umgang mit solchen Persönlichkeiten von außen, muss sich die Partei ändern. In Hessen sind diese Externen meist gescheitert. Entweder am Widerstand der Genossen, wie bspw. Volker Hauff in Frankfurt. Oder sie haben wie Herrmann Scheer erst richtig zu den Niederlagen der hessischen SPD beigetragen. Es braucht also eine Strategie, wie das Scheitern Externer künftig vermieden werden kann. Und der Prüfstein für diese Frage wird die Frankfurter SPD, die deshalb einer intensiven Beobachtung und Beratung ausgesetzte werden sollte.

Muss da nicht zuerst einmal auch die schwerfällige und spalterische traditionelle Organisationsform der hessischen SPD mit dem in Nord und Süd geteilten Landesverband und den Bezirken und Unterbezirken reformiert werden?

Diese Debatte wird seit 10 Jahren geführt. Dass wieder zu praktizieren halte ich nicht für sinnvoll. Richtig ist, dass es sich selbst genügende Strukturen sind, mit viel zu wenig Durchlässigkeit. Weil daran kurzfristig offenbar nichts zu ändern ist, muss die Gruppe um TSG eine Anbaustrategie favorisieren. Lernen durch Verlagerung von Kompetenzen in hochkarätig besetzte Arbeitsgruppen mit Forumscharakter. Ich nenne das jetzt einmal `Modernisierung durch Anbaustrategie`.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.