Kolumne Gerüchte: Rache für Nscho-Tschi

Gibt es zu viele Filme mit starken, alten Frauen und jungen Liebhabern? Darüber sorgen sich männliche Kritiker.

Es ist erfreulich, dass jetzt auch mal Männer eine Ahnung kriegen von diesem typisch weiblichen Leidensweg. Von dieser Sehnsucht, diesen lebenslangen Versuchen, diesen Mangel auszugleichen. Aber der Reihe nach.

Nehmen wir eine stinknormale Fernsehkindheit in den 60er-Jahren. Fury! Das edle schwarze Pferd, das herangaloppiert, ohne Trense, ohne Sattel. Der Junge, der sich auf dessen Rücken schwingt und in das nächste Abenteuer reitet. Tolle Sache. Nur: Wo bleiben die Mädchen? Mit wem konnte man sich da als Zehnjährige identifizieren? Das kleine Mädchen möchte auch ein spannendes Leben haben, von einem warmen, starken Wesen durch die Welt getragen werden, das man gleichzeitig ein bisschen beherrscht.

Dann Winnetou und Old Shatterhand. Winnetou I. "Wir jetzt Blutsbruder!" Auch schön. Nur: Was taten die Mädels? Sollte man sich mit Nscho-Tschi identifizieren, Winnetous Schwester, die gleich in der ersten Folge verstirbt, als ewiger Trauerfall für Old Shatterhand?

Und dann die Western im Fernsehen. Ich habe diese Szenen nie verstanden, in denen sich der Held mit dem Bösewicht prügelt und die Frau nur händeringend danebensteht. Warum hat sich das Mädchen nicht mitten ins Kampfgetümmel gestürzt, war dem Helden beigestanden, hatte dem Bösen auch eins verpasst auf die Nase? Weil das die Leistung des Helden, der seinen Gegner eigenhändig besiegen musste, geschmälert hätte? Immer wenn es irgendwo lebendig wurde, mussten die Frauen zu Puppen erstarren.

Im Kino war es nicht besser. Lawrence von Arabien! Nicht nur der Dauer-Hippie Helge Timmerberg bezeichnet ihn als seinen Lieblingsfilm, auch meine Jugendliebe Karl schwärmte von diesem Epos. Kann man auch verstehen. Wüste, Pferde, Kamele, Eisenbahn, Intrigen, ewige Freundschaft, eine geheimnisvolle, komplexe Hauptfigur - alles drin. Nur keine Frauen. Wieder nichts zum Identifizieren.

Wir behalfen uns natürlich zu Zeiten meiner Kindheit. Viele Mädchen taten einfach so, als wären sie Jungs. Nicht wegen Penisneid oder so, sondern wegen des tolleren Lebens. Die Jugendbuchautorin Enid Blyton schrieb in den 50er- und 60er-Jahren die Abenteuerserie der "Fünf Freunde", die Hauptfigur war das Mädchen Georgina, das sich aber vorsichtshalber "George" nannte, um ernst genommen zu werden.

Vielleicht bräuchte ich nicht hinzuzufügen, dass ich noch heute ein Buch im Laden sofort aus der Hand lege, wenn ich im Klappentext einen Plot lese wie: "Der alternde Literaturprofessor X beginnt in einer schweren Lebenskrise ein schwärmerisches Verhältnis mit der jungen Studentin Y" Okay. Soll er. Habe ich moralisch nix gegen. Nur zum Identifizieren taugt es nicht für mich, und deshalb gebe ich kein Geld dafür aus.

Nun hat sich ja einiges geändert in der Medienwelt, was auch der Kolumnist Harald Martenstein unlängst vermerkte. Fast alle Frauen seien doch heutzutage "stark" in Filmen, und "alle haben blutjunge, bildschöne Liebhaber", stöhnte er, der sich unter "Tonnen von Altfrauenfantasien" begraben fühlte. Die Männer im Film hingegen seien häufig Arschlöcher. "Ich bin ein Mann, versteht ihr, mich befriedigt diese Weltsicht nicht. Ich möchte auch mal gerne ein Identifikationsobjekt", klagt der Filmkritiker. Und befürchtet, dass demnächst auch die Rolle des James Bond von einer Frau übernommen wird.

Man ist ja auch nur ein Mensch mit Gefühlen, bei mir zum Beispiel überwiegt eins: Schadenfreude! Na, Herr M., da siehste mal, wie das ist. Wenn weit und breit keine Identifikationsfigur zu sehen ist. Nix zum Festhalten. Da schwankt der Boden unter den Füßen, wa?

Bald wird vielleicht Laureen of Arabia über die Leinwand reiten, wettergebräuntes Gesicht, wehendes Gewand. Sie wird mit dem blutjungen, bildschönen Scheich ein fortschrittliches Verhältnis haben und solcherart die Völker versöhnen. Pferde, Kamele, Sternenhimmel, komplexe Hauptfigur, alles drin. Dann sollen die Kritiker jammern. Das kommt davon, wenn man Nscho-Tschi zu früh sterben lässt.

Fragen zu Laureen? kolumne@taz.de Montag: Anja Maier über den SPECKGÜRTEL

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Redakteurin für Sozialpolitik und Gesellschaft im Inlandsressort der taz. Schwerpunkte: Arbeit, soziale Sicherung, Psychologie, Alter. Bücher: "Schattwald", Roman (Piper, August 2016). "Können Falten Freunde sein?" (Goldmann 2015, Taschenbuch).

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