Theater und Schule: Jeder ist mal Robin Hood
Fünftklässler aus Neukölln spielen Theater auf Englisch und lernen dabei viel mehr als eine Fremdsprache. Am Mittwoch führen sie ihr Stück "Robin Hood" im BKA-Theater am Mehringdamm auf - als Teil einer Kooperation zwischen Schulen und Theatern.
Zuerst spielt Maybell eine arme Frau. Dann einen Bären, einen Baum, eine Wäscherin und am Schluss Robin Hood. Im bunten Musikraum der Neuköllner Sonnen-Grundschule wird fleißig geprobt, die Premiere klopft schon an die Tür. Über der kleinen Bühne hängen Scheinwerfer, an den Wänden Noten. In diesem Raum ist die Kunst zu Hause. Wie zu Hause fühlen sich auch die kleinen Bühnenkünstler, deren Gesichter fröhlich und erwartungsvoll strahlen.
"Welcome to the tale of Robin Hood!" Der kleine Erzähler, Kopf mit rotem Schal und Hut bedeckt, begrüßt das Publikum. Dieses besteht heute nur aus der Lehrerin Anita Schütz-Esche und der Schauspielerin Melissa Holroyd, die das Stück mit den Kindern vorbereiten. Die Lehrerin und die Schauspielerin des berliner Platypus-Theaters wurden durch das Projekt Theater und Schule (Tusch) zusammengebracht. Um die Ausdrucksmöglichkeiten der Schüler zu fördern und sie zur Auseinandersetzung mit Theater anzuregen, schließen Berliner Schulen und Bühnen dreijährige Kooperationen. Während dieser Zeit kommen Schauspieler in die Schulklassen und studieren mit den Kindern verschiedene Stücke ein.
Da es heute eine der letzten Proben ist, soll alles sitzen: die Dialoge, die Kostüme, die Gestik. Kaum betritt Robin Hood die Bühne und verkündet seine Absicht, gegen Ungerechtigkeit zu kämpfen, erklingt das erste "Stopp" aus der Zuschauerreihe. Melissa Holroyd führt heute die Regie. In einer Mischung aus deutschen und englischen Sätzen gibt die 35-jährige gebürtige Australierin den Kindern Tipps, was sie aus der Szene noch mehr herausholen können.
Danach geht es weiter: Grüne, pinke und gelbe Tücher fliegen in die Luft und landen wieder auf den Schultern der Schauspieler, um sie vollkommen zu verwandeln. So wird Robin Hoods Garde zu einen gespenstischen Wald und er selbst ist plötzlich weiblich - ein Mädchen afrikanischer Erscheinung mit langen dunklen Zöpfen. Im Laufe des Stücks wird die Rolle abwechselnd von vier SchülerInnen gespielt. Melissa Holroyd findet daran nichts Seltsames: "Wir wollten keine festen und auch keine Mann-Frau-Rollen. Wenn einige Kinder die ganze Zeit Baum spielen müssten, würden sie sich nur langweilen."
Die Klingel wirft alle von den Brettern, die die Welt bedeuten, zurück in den Schulalltag. Noch schnell eine Szene üben - und schon stürmen die Schüler in die wohlverdiente Pause. "Es ist anstrengend für die Kinder, sich so lange auf ein Projekt zu konzentrieren und so einen Arbeitswillen zu entwickeln", berichtet ihre Klassen- und Englischlehrerin Anita Schütz-Esche. "Das ist da draußen keine Selbstverständlichkeit." Ihr Blick wandert zum Fenster hinaus, wo in der Mittagssonne einige Plattenbauten zum Himmel ragen. Die Gegend sei ein sozialer Brennpunkt.
Zu der wirtschaftlichen Notlage kämen sprachliche Schwierigkeiten hinzu - 85 Prozent der Schüler ihrer Klasse seien Migrantenkinder, überwiegend aus türkisch- und arabischstämmigen Familien. "Es sind schon Migranten vierter Generation, die oft nicht nur Deutsch, sondern auch ihre Muttersprache nicht einwandfrei sprechen können." Deswegen sei es so wichtig, dass die Kinder Englisch lernen. "Da bekommen sie von Grund auf ein Gefühl für Sprache. Sie lernen, sich gut auszudrücken." Durch das Theaterstück hätten die Fünftklässler ihr Englisch deutlich verbessert - und eine Begeisterung für die Sprache gewonnen.
Das bestätigt auch Maybell: "Wenn man sich einmal daran gewöhnt, ist es besser, auf Englisch zu spielen. Deutsch ist irgendwie komplizierter." Sie spricht es dabei fehlerfrei. Ihre Mitschülerin Tahani nickt, auch ihr fällt das Englische leicht. Die beiden haben einen multikulturellen Hintergrund. "Meine Familie kommt aus verschiedenen Ländern", erzählt Tahani und zählt sie gleich auf: "Stuttgart, Spanien, Italien, Ägypten." Wie auch andere in der Gruppe kann sie sich vorstellen, Schauspielerin zu werden.
So optimistisch wie in ihre Zukunft blicken die Kinder auch auf den Tag der Aufführung. Doch etwas Lampenfieber ist auch dabei. Tahani: "Ich habe Angst, dass ich mich verplappere und die Leute lachen." Maybell beruhigt sie: "Wenn das passiert, einfach weitermachen. Wie Frau Schütz-Esche immer sagt: The show must go on."
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!