Flüchtlingsdrama im ZDF: Im Nachhall des Wahnsinns
Ein kleines hessisches Dorf erlebt in den Nachkriegstagen Flüchtlinge, Schwarzmarkt, Täter, Mitläufer, Denunzianten und Opfer. Und sie alle müssen gemeinsam Tür an Tür leben.
Gleich zu Beginn des Films reißt eine Landmine nicht nur ein paar Kinder in Stücke, sondern einen ganzen Mythos gleich mit.
Dieses Dorf ist nicht Deutschland in der Stunde null, kann es gar nicht sein. Denn in der Welt dieses Films existiert keine Stunde null. "Ist hier immer noch Krieg?", fragt ein schlesisches Flüchtlingskind beim Anblick der Explosion, das künftig in dem hessischen Dorf leben soll. "Nein", antwortet die Mutter und hat damit ebenso recht wie unrecht. Es ist Frühsommer 1945, zwar laufen jetzt amerikanische Soldaten durch das Dorf, der Krieg aber ist deshalb nicht schlagartig vorbei. Eher versickert er langsam, der Wahnsinn hallt noch nach. Die Bilder von Hitler in den Wohnzimmern wurden nur umgedreht, die Minen liegen noch auf den Feldern, die Männer sind noch verschwunden. Täter, Mitläufer, Denunzianten und Opfer leben in diesem Dorf Tür an Tür. Viele sind Täter, viele sind Opfer, viele sind beides zugleich.
Diese Ambivalenz der Figuren mit all ihren Erinnerungen und Altlasten macht diesen Film sehenswert. Regisseur Martin Enlen zeigt seine Protagonisten in ihrer Zerrissenheit zwischen Schmerz und Schuld, ohne über sie zu urteilen. Dieser Mut zu Brüchen und Widersprüchen hätte auch der Ästhetik des Films gutgetan und aus einem ordentlichen vielleicht einen sehr guten Film gemacht. Denn so wird die eindimensionale Heimatfilmkulisse den komplexen Figuren nicht gerecht: zu viel Fachwerk, zu viele wiegende Kornähren im Sonnenlicht, zu viele Cordhosen, zu viel Streichorchester.
Angenehm mehrdimensional dagegen: Flüchtlingsfamilienmutter Johanna Dawe (Katharina Böhm), die sich nicht in die verstockte Dorfgemeinschaft integrieren kann. Der Pfarrer (Uwe Kockisch), der zu viel Hass empfindet, um noch Pfarrer sein zu können. Der Soldat Paul (Stephan Kampwirth), der gerade aus dem Krieg in ein Haus zurückkehrt, das nicht mehr sein Zuhause ist. Seine Frau Gisela (Inka Friedrich), die bei der Minenexplosion ihren einzigen Sohn und während des Krieges irgendwie auch ihren Mann Paul verloren hat. Und ein Junge, der im Wald versteckt lebt. Die Beziehung zwischen den Figuren ist angespannt und brüchig, weil sie alle durch ein dunkles Geheimnis aus den letzten Kriegstagen miteinander verbunden sind.
Auf den Straßen des Dorfs entwickelt sich langsam ein geschäftiger Alltag auf dem Schwarzmarkt. Man lernt ein bisschen Amerikanisch, hello boys and girls, tauscht Zigaretten, Kaugummi und Kaffee und einmal sogar eine Wurst. Doch die fragile Normalität zerbricht, als das Geheimnis entdeckt wird.
"Ein Dorf schweigt", Do., 21.00 Uhr, ZDF
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