Kommentar Ostermärsche: Zu wenig praxisorientiert

Die heutigen Ostermärsche sind vielen Menschen, die ihre Ziele teilen, zu unpolitisch. Denn ihre hehren Maximalforderungen lassen sich nicht umsetzen. Pragmatismus ist gefragter.

Zwölftausend Menschen marschierten zu Ostern durchs Brandenburgische, um gegen einen Truppenübungsplatz zu demonstrieren. Der Weltfrieden hingegen brachte es bundesweit nur auf einige hundert Anhänger. Dieser Umstand klingt paradox. Doch in ihm steckt bereits die Antwort auf die Frage: Warum bleiben den Ostermärschen die Teilnehmer fern? Obwohl neuerdings selbst der US-Präsident eine atomwaffenfreie Welt propagiert?

Die Menschen heute sind nicht weniger politisch als jene, die vor fast 30 Jahren zu Hunderttausenden gegen die sogenannte Nachrüstung demonstrierten. Doch die Welt hat sich geändert und mit ihr das Politikverständnis der Menschen. Das liegt zum einen daran, dass die Angst vor einem atomar geführten Weltkrieg seit Ende des Kalten Krieges weitgehend geschwunden ist. Die Block-Konfrontation war angesichts von Mauer und Manövern persönlich spürbar. Die Weiterverbreitung von Atomwaffentechnik im Nahen und Mittleren Osten ist es nicht.

Die Gedanken vieler Bürger bewegt auch das "Bombodrom" in der Prignitzer Heide. Das liegt natürlich auch an der unmittelbaren Betroffenheit vieler Brandenburger, die sich durch Lärm, Schmutz und Munitionsreste gefährdet fühlen. Sind diese Menschen also lediglich egoistisch? Egoistischer zumindest als jene, die für den Weltfrieden marschieren? Nicht unbedingt.

Die heutigen Ostermärsche sind vielen Menschen, die ihre Ziele teilen, zu unpolitisch. Denn ihre hehren Maximalforderungen lassen sich nicht umsetzen. Die Bundesrepublik besitzt keine Atomwaffen, die sie verschrotten könnte. Und ein Korso von 50 Radfahrern durch die Braunschweiger Innenstadt wird die Nato nicht der Selbstabschaffung näherbringen.

Die sozialen Milieus, die den Ostermärschen früher gewogen waren, wissen heute genau um den glanz-, aber alternativlosen Zwang zur Detailarbeit. Und auch Barack Obama zeigt sich auf der Höhe der Zeit, wenn er die Verschrottung aller Atomwaffen fordert, ihr aber mit pragmatischen Mitteln nahekommen will: mit internationaler Entwicklungszusammenarbeit, wirtschaftlichem und diplomatischem Druck. MATTHIAS LOHRE

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Schriftsteller, Buchautor & Journalist. Von 2005 bis 2014 war er Politik-Redakteur und Kolumnist der taz. Sein autobiographisches Sachbuch "Das Erbe der Kriegsenkel" wurde zum Bestseller. Auch der Nachfolger "Das Opfer ist der neue Held" behandelt die Folgen unverstandener Traumata. Lohres Romandebüt "Der kühnste Plan seit Menschengedenken" wird von der Kritik gefeiert.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.