Nach zehn Jahren Unruhe in Tschetschenien: Kriegsrecht ist abgeschafft

Russland beendet Anti-Terror-Kampf in der Kaukasusrepublik. Deren Führung begrüßt die Entscheidung als "Schritt zur Normalisierung". Der Schein trügt.

Offiziell gibt es nun keinen Anti-Terror-Kampf mehr in Grosny. : ap

Der Kreml und Russlands Geheimdienst FSB sind der Einschätzung des Moskauer Statthalters in Grosny gefolgt. Nach fast zehn Jahren hob Moskau gestern den kriegsrechtsähnlichen Zustand des Antiterrorkampfs auf. Die besonderen Zuständigkeiten des FSB erloschen. Die tschetschenische Führung feierte die Aufhebung des Kriegsrechts als weiteren Schritt zur "Normalisierung der Lage in der Region". Armee und Geheimdienst müssen die Aufsicht über die innere Ordnung tschetschenischen Instanzen überlassen. Rund 20.000 Soldaten werden die Kaukasusrepublik verlassen und in den unruhigen Nachbarregionen Quartier beziehen.

Nach dem Attentat auf Achmed Kadyrow 2004 ließ Expräsident Wladimir Putin damals dessen 27-jährigen Sohn Ramsan zum Nachfolger aufbauen. Obwohl der Amateurboxer zunächst den Eindruck erweckte, der Aufgabe nicht gewachsen zu sein, enttäuschte Ramsan seinen Protegé im Kreml nicht. Kadyrow Junior regierte mit eiserner Faust und löschte den Widerstand separatistischer und islamistischer Kräfte ohne Erbarmen aus. Inzwischen soll es in den schwer zugänglichen Bergregionen nur noch wenige Widerstandsnester geben. Das offizielle Grosny beziffert die Rebellen auf 65, andere Quellen gehen von einigen hundert aus. Durch geschickte Umwerbung holte Ramsan zudem viele frühere Rebellen ins eigene Lager. Die Loslösung vom russischen Staatsverband steht nicht mehr auf der Tagesordnung, und Ramsan Kadyrow lässt keine Gelegenheit verstreichen, sich dem Kreml als echter russischer Patriot zu empfehlen.

Auf den ersten Blick ist es in der Republik ruhig geworden, nach russischem Verständnis liegt gar so etwas wie Stabilität vor. Auch die Bevölkerung ist erleichtert, dass nach mehr als einem Jahrzehnt Gewalt das Leben ruhiger geworden ist.

Trotz allem herrscht noch lange kein Frieden in der Republik. Widersacher und Konkurrenten, sei es in der Machtfrage oder bei geschäftlichen Interessen, ließ Kadyrow gnadenlos ausschalten. Im März wurde Sulim Jamadajew ermordet, erst im September 2008 war Bruder Ruslan in Moskau erschossen worden. Der Clan der Jamadajews zählt zu den einflussreichsten tschetschenischen Sippen und erklärten Feinden der Kadyrows. Sulim diente als "Held Russlands" im Geheimdienst der Armee GRU, Bruder Ruslan war Abgeordneter der Duma. Beide bekannten sich zu Russland ebenso leidenschaftlich wie Kadyrow.

Beobachter vermuten, dass Kadyrow hinter den Attentaten steht. Bewiesen wurde das bislang nicht. Eigentlich hätte der Mord an einem "Helden Russlands" in Moskau jedoch zu einem patriotischen Aufschrei führen müssen. Stattdessen schwieg der Kreml, auch die Ermittlungen kommen nur schleppend voran. Dass die Zentralgewalt den Vorfall übergeht, scheint Teil eines Deals zu sein. Kadyrow übt sich gegenüber dem Kreml in Loyalität und sorgt in seinem Sultanat für Ruhe. Im Gegenzug darf er in seinem Lehen nach eigenem Gutdünken walten und erhält zudem freie Hand im Umgang mit Opponenten. Kadyrow soll auch die Aufhebung des Kriegsrechts im Kreml gegen den Widerstand der Militärs durchgesetzt haben.

Die Normalisierung bringt vor allem wirtschaftliche Vorteile für den Kadyrow-Clan, dem es gelang, russische Konkurrenten aus Armee und Geheimdienst kalt zu stellen. Nach zehn Jahren Unruhe ist Ramsan Kadyrow der Gewinner des Konflikts. Unter ihm erlangte Tschetschenien mehr Unabhängigkeit als je zuvor. Die Zugehörigkeit zu Russland steht nur auf dem Papier.

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