Schlammschlacht um No-Angels-Star: Ende der Unschuldsvermutung
Sängerin Nadja Benaissa sitzt wegen des Verdachts auf schwere Körperverletzung in Untersuchungshaft - ihr Anwalt geht gegen die Presse vor und hofft auf baldige Freilassung.
"Behutsam drang RTL-Moderator Günther Jauch in Nadjas Privatsphäre ein", wurde 2001 im Online-Portal laut.de das Drogengeständnis der No-Angels-Sängerin Nadja Benaissa gewürdigt. Solch ein Eindringling fand sich nach Meinung der Musikerin und ihres Anwalts nun wieder - allerdings ein unerwünschter.
Die Bild hatte am Dienstag in großer Aufmachung berichtet: "Es geht um schwere Körperverletzung! No-Angels-Nadja nachts in der Disco verhaftet!" Die Redakteure wollten mehr erfahren: "Schwere Körperverletzung - was ist da vorgefallen?" Und sie taten, was der Presse Recht und Pflicht ist: "Bild fragte bei der Polizei nach." Ein Polizeisprecher beschied die Neugier lapidar: "Dazu machen wir keine Angaben." Dass die Boulevardpostille gleich bei der Staatsanwaltschaft Darmstadt hätte nachfragen sollen, demonstriert diese seit der ersten Bild-Veröffentlichung mit Details zu den Hintergründen des Tatvorwurfs.
Ausgerechnet über die Bild ließ ein Sprecher der Staatsanwaltschaft gestern verbreiten, dass sie weiter über den Fall informieren wolle: "In der konkreten Situation sehen wir uns nach wie vor verpflichtet, den äußeren Tatbestand der Vorwürfe den Medien mitzuteilen." Was aber verbirgt sich hinter diesem juristisch trockenen "äußeren Tatbestand"?
Inzwischen berichten alle Medien darüber, dass Benaissa für die HIV-Infektion eines Mannes verantwortlich sein soll, mit dem sie ungeschützten Sex hatte, was ihr Anwalt als nicht erwiesen ansieht. Auf seinen Antrag hin erließ das Landgericht Berlin ebenfalls noch am Dienstag eine einstweilige Verfügung gegen den Axel-Springer-Verlag, mit der diesem untersagt wird, "über ein […] Ermittlungsverfahren wegen schwerer Körperverletzung und/oder den Gegenstand der Untersuchungshaft zu berichten […]". Das verwundert in der Tat, denn eine solche Verdachtsberichterstattung ist wegen ihrer Prangerwirkung zwar nur eingeschränkt möglich und muss insbesondere die Persönlichkeitsrechte des Betroffenen wahren.
Jedoch hindert die bis zu einer rechtskräftigen Verurteilung geltende Unschuldsvermutung die Medien nicht immer an einer solchen Berichterstattung. So vermag auch der bloße Verdacht der Begehung einer Straftat und erst recht die bloße Tatsache einer Untersuchungshaft dann ein öffentliches Interesse an einer Berichterstattung begründen, wenn es sich um einen Prominenten handelt. Ohne Hinweis auf den Verdacht der HIV-Infektion wird man hier ein solches überwiegendes Interesse der Öffentlichkeit bejahen müssen, hinter dem das Persönlichkeitsrecht von Nadja Benaissa zurücktritt.
Folgerichtig hat der Axel-Springer-Verlag bereits Rechtsmittel gegen diesen Gerichtsbeschluss angekündigt. Dass Nadja Benaissa zumindest eine - wie "Prominenz" im Juristendeutsch umschrieben wird - "relative Person der Zeitgeschichte" ist, steht außer Frage: Bereits vor neun Jahren gehörte sie zu den Gründungsmitgliedern der kommerziell sehr erfolgreichen No Angels und singt dort auch seit dem Comeback vor zwei Jahren wieder. Ihren Erfolg verdankt diese "Retorten-Band" übrigens nicht zuletzt der Schützenhilfe durch die Bild.
Ungleich interessanter könnten aber die Prozesse verlaufen, welche Benaissas Anwalt aufgrund der folgenden detailversessenen Berichterstattung führen dürfte. Denn es ist in der Tat schwerer, eine Berichterstattung zu legitimieren, welche auf die Details der HIV-Infektion selbst eingeht, da hier zumindest die Privatsphäre, wenn nicht sogar die Intimsphäre betroffen sein könnte.
Auch wenn dieser Begriff im Fall Benaissa eine unfreiwillige Doppelbedeutung erfährt, handelt es sich bei der Intimsphäre nicht etwa um ein Synonym für bestimmte Körperregionen, sondern sie umfasst nach Auffassung des Bundesgerichtshofes die innere Gedanken- und Gefühlswelt und den Sexualbereich, aber auch Krankheiten. Daher ist dieser am strengsten geschützte Teil der Persönlichkeitsrechte für eine Berichterstattung weitestgehend tabu, wobei auch hier die Prominenz des "Opfers" eine Rolle spielen kann. Denn gerade dieser Status ist Ursache dafür, dass Prominente selbst mit intimen Details bei die Medien hausieren gehen.
Dabei lohnt es sich durchaus, einen Blick in Benaissas mediale Vergangenheit zu werfen: Besonders interessant ist ein bis heute verbreitetes Interview der Bild am Sonntag mit Benaissas Exfreund vom 28. Oktober 2001, der darin behauptet: "Um ihre Sucht zu finanzieren, ging sie anschaffen." Damals fand Benaissa es scheinbar nicht wichtig genug, sich gegen diese Vorwürfe presserechtlich zu wehren, auch wenn sie auf dem Höhepunkt ihres Ruhms über die entsprechenden Mittel verfügt haben dürfte. Immerhin griff die Bild das kurz darauf gesendete RTL-Interview mit Günther Jauch auf, um mit Benaissas Worten zu relativieren: "[…] ich habe mich nicht prostituiert." Überhaupt war ihr Verhältnis zum Axel-Springer-Verlag früher noch unverkrampfter.
Pünktlich zum Comeback der No Angels ließ sich Nadja Benaissa von der Bild zu den "Tiefpunkten ihres Lebens" befragen und gab dem ebenfalls im Springer-Verlag erscheinenden Jugendblättchen Yam! bereitwillig Auskunft zu ihrem Beziehungsleben oder besser zu dessen momentaner Abwesenheit. Wer wollte ihr widersprechen, wenn sie dort verkündet: "Bei uns passiert immer etwas Unvorhergesehenes."
Leser*innenkommentare
André
Gast
Einmal mehr ein Beweis, dass die BILD-Zeitung ein echtes Armutszeugnis unserer achso-Aufgeklärten Gesellschaft ist... Ein Gerücht und eine ganze Karriere wird zerstört, noch bevor Beweise auf dem Tisch liegen. Traurig ! Lasst Nadja in Ruhe !
Mazza
Gast
Das sieht fast nach einer hexenjagd aus . Wer schützt frauen vor männern, die nicht verhüten wollen, die mädchen/frauen penetrieren und für ungewollte schwangerschaften und sexuell übertragbare infektionserkrankungen - mit denen frauen sich ständig rumschlagen müssen, verantwortlich sind?
christine rölke-sommer
Gast
kann es sein, dass ich den satz über den haftprüfungstermin überlesen habe? frage ich mich die ganze zeit. natürlich ist die geschichte auch presse-rechtlich interessant, bis hin zu der frage, ob nicht vielleicht der satz "Behutsam drang RTL-Mod.. in Nadjas Privatsphäre ein" wegen soft-porno-style gestrichen gehört.
aber erst mal tät mich schon interessieren, wie in einem solchen fall die untersuchungshaft begründet wird! besteht flucht-, wiederholungs- oder verdunklungsgefahr? wie wird eine solche begründet? und: müssen wir damit rechnen, dass in zukunft die x-te garnitur der 'prominenz' öfter in u-haft genommen wird, weil irgendwann mal irgendwelche moderatoren "behutsam" in die privatsphäre "eingedrungen" waren, und das objekt der soften penetration verabsäumt hatte, sich dagegen unter ausschöpfung des rechtsweges zu verwahren?
George Oberle
Gast
Wer schützt uns vor Bild, Pro Sieben, RTL (II) und anderen - nicht gerade die Bildung fördernden - Medien?
Matthias Macht
Gast
Die Überschrift ließ hoffen, dass sich (endlich) jemand ernsthaft mit dem Spannungsverhältnis zwischen strafprozessualer Unschuldsvermutung und Auslegungsfähigkeit von Persönlichkeitsrechten bei Prominenten befasst. Am Ende war's die übliche Abrechnung und Vergangenheitsbewältigung ("2001 hat sie noch gesagt: ..."). Schade, hätte mehr erwartet.
Anna Blume
Gast
Unschuldsvermutung hin oder her, wer sich mit der Bild Zeitung einläßt..."Live by the sword, die by the sword". Oops, ist das "uncorrect" in diesem Zusammenhang...