Präsidentenwahl: Horst Köhlers ungeliebte Heimat
Die einst vertriebenen Polen aus Skierbieszów in Ostpolen warten seit fünf Jahren auf den Besuch des deutschen Bundespräsidenten. Horst Köhler wurde dort geboren. Der aber kommt nicht.
Bessarabien: Horst Köhlers Familie stammt ursprünglich aus Bessarabien, dem heutigen Moldawien. Nach der Besetzung durch die Rote Armee 1940 infolge des Hitler-Stalin-Paktes schlossen sich nahezu alle Volksdeutschen der Aktion der Umsiedlung nach Ostpolen an.
Generalplan Ost: Er sah die Germanisierung der von den Deutschen besetzten bzw. zu erobernden osteuropäischen Länder vor. Insgesamt sollten 30 bis 50 Millionen Slawen vertrieben werden.
Aktion Zamosc: Von November 1942 bis Juni 1943 siedelten die Deutschen fast 300 ostpolnische Dörfer aus. 120.000 Menschen wurden vertrieben, darunter 30.000 Kinder, von denen etwa 13.000 starben. 4.500 Kinder wurden als "rassisch wertvoll" eingestuft und zur Adoption ins Deutsche Reich geschickt.
Leser*innenkommentare
Robert Friedl
Gast
Der Artikel von Gabriele Lesser und einige Kommentare sind leider teilweise irreführend.
Skierbieszów ist keine „ungeliebte Heimat“ von Horst Köhler und somit kann er sich nicht vor einem Besuch dort „drücken“. Familie Köhler wurde aus Bessarabien in die polnische Region Zamosc zwangsumgesiedelt und der Geburtsort von Horst Köhler ist zufällig. Für mich ist es völlig selbstverständlich, dass Köhler der Einladung aus Skierbieszów nicht folgt. Sein Besuch in seinem Geburtsort könnte von politischen Kräften verschieden interpretiert werden. So beispielsweise kritisiert man einerseits die Vorsitzende des Bundes der Vertriebenen Erika Steinbach, die angibt, vertrieben worden zu sein, andererseits kritisiert man Köhler für seine Weigerung. Diese Logik ist unverständlich. Sein Besuch in Skierbieszów würde nur unnötig polnische Rechtsradikale aufwühlen und dem deutschen Rechtslager den Vorschub leisten.
Von Britt
Gast
Grundsätzlich ein interessanter Artikel, nur habe ich eher das Gefühl, hier soll mit Horst Köhler abgerechnet werden. Mein Gott, er war zwei Jahre (!) alt, als seine Eltern vertrieben wurden. Wie kann jemand ein Flüchtling sein, der sich nicht einmal mehr an das andere Land erinnert? Ich kann da in keiner Weise eine Pflicht sehen. Der Begriff "Heimat" ist auch irreführend: Deutschland, wo er seit mehreren Jahrzehnten lebt, soll es plötzlich nicht sein - ein Ort, wo seine Familie gerade mal zwei Jahre gelebt hat, plötzlich schon? Wenn, dann wäre es Bessarabien. Man kann nicht von jmd. erwarten, der bei der Vertreibung gerade mal 2 Jahre alt war, dass er sich diesem Ort verbunden fühlt. Dem Ort und den Menschen, die es sicher nicht leicht haben, alles Gute, sie meinen es gut, aber es gibt - leider! - genügend polnische Medien, die Köhler nur zu gern als Hitler-Baby verunglimpfen. Das Theater muss sich Köhler nicht antun.
Prof. Hans Henning Hahn
Gast
Eine Besuch Horst Köhlers in seinem Geburtsort, ob offiziell oder privat, hätte uns den feindseligen Medienrummer der letzten Jahre auf beiden Seiten vielleicht erspart oder doch gemildert. Eine verpaßte Chance! Sie zeugt nicht gerade von besonderer Sensibilität unseres Bundespräsidenten für das, worauf es nicht nur in den deutsch-polnischen Beziehungen, sondern überhaupt in dem, was man gemeinhin heute Geschichtspolitik nennt und früher Vergangenheitsbewältigung nannte, für die deutsche Gesellschaft ankäme. Schade, daß Host Köhler nicht von selbst drauf gekommen wird, denn nach diesem klaren und menschlichen Artikel, für den wir Frau Lesser nur dankbar sein können, wird er sich nicht mehr trauen, nicht mehr den Mut haben, den 'ersten Schritt' zu tun.
Jan
Gast
Mein herzlicher und aufrichtiger Dank gilt Frau Lesser für einen Artikel, der wieder einmal meine eigenen Erfahrungen als in Polen lebender Deutscher widerspiegelt. Egal von wem, ich werde hier immer wieder herzlich begrüßt, kennengelernt und aufgenommen. Es gibt keine Vorwürfe, auch nicht von Opfern des nationalsozialistischen Terrors, stattdessen eine Freundlichkeit gegenüber dem Deutschen und eine Neugierde auf das Deutsche. Leider versucht ein Teil der deutschen (und auch polnischen) Presse, eine andere Wirklichkeit zu konstruieren.
Detlef Foljanty
Gast
Dankenswert vor allem, dass in diesem Artikel an den "Generalplan Ost" erinnert wird, auch wenn ich mir das bereits im Zusammenhang mit der Steinbach-Debatte gewünscht hätte. Neu war für mich, auf welche Weile Köhler in diesen Germanisierungsplan verstrickt war. Warum hat er sich denn nicht auch einmal zu Wort gemeldet, tut er doch sonst ständig?
Ich möchte Leser, die sich für dieses dunkle Kapitel deutscher Gewaltpolitik interessieren, auf einen Dokumentarfilm von Elke Jonigkeit und Hartmut Kaminski hinweisen: "Die Kinder von Himmlerstadt". So nämlich sollte Zamość nach vollzogener Germanisierung heißen. Näheres unter
www.circe-film.de