Klamme Kommunen: Bloß keine Hiobsbotschaften

Der Verband "Deutscher Städtetag" berät über Handlungsspielräume in der Krise. Und versucht, Optimismus zu verbreiten.

Selbst das wohlhabende München hat eine Haushaltssperre verhängt. Bild: dpa

Den Parkplatz des Bochumer "RuhrCongress"-Zentrums hat die Wirtschafts- und Finanzkrise noch nicht erreicht. Der schwere, dunkle S-Klasse-Mercedes der Frankfurter CDU-Oberbürgermeisterin Petra Roth, standesgemäß mit den Buchstaben OB im Kennzeichen, funkelt in der Sonne, ebenso der neue Siebener-BMW des sozialdemokratischen Münchener Rathauschefs Christian Ude. Auf BMW setzt auch Nürnberg. Nur Dresden fährt VW - allerdings das Topmodell Phaeton, das dort zu Preisen ab 65.100 Euro in Handarbeit in einer "gläsernen Manufaktur" gefertigt wird.

Steuerschätzung: Bund, Länder und Kommunen müssen wahrscheinlich bis 2013 mit 300 bis 350 Milliarden Euro weniger auskommen als noch im November angenommen. Dies wird nach Ansicht von Finanzpolitikern die neue Steuerschätzung offenbaren, die am Dienstag in Bad Kreuznach begann. Genaue Ergebnisse werden heute erwartet. "Wir werden einen Negativrekord bei der Steuerschätzung erleben, einen Einbruch der Steuereinnahmen in gigantischem Ausmaß", sagte der Vorsitzende des Bundestags-Haushaltsausschusses, Otto Fricke (FDP).

Neuverschuldung: Die gesamte Neuverschuldung des Bundes werde sich dieses Jahr auf über 90 Milliarden Euro summieren, so Fricke. Davon fänden sich gut 50 Milliarden im regulären Etat wieder und der Rest in Schattenhaushalten zur Finanzierung der Konjunkturpakete. Ende 2008 lag die Staatsverschuldung bei etwa 1.580 Milliarden Euro.

Rekord: Bundesfinanzminister Peer Steinbrück (SPD) hat bereits angekündigt, dass er 2009 für den Bund eine Neuverschuldung bis zu 80 Milliarden Euro erwartet. Damit bricht er den bisherigen Rekord von Exfinanzminister Theo Waigel (CSU), der 1996 gut 40 Milliarden Euro an frischen Krediten aufgenommen hatte. (taz, ap)

Im "RuhrCongress" tagt der Deutsche Städtetag. Über "Städtisches Handeln in der Krise" debattiert der kommunale Spitzenverband dort seit drei Tagen dann doch, und schon im Vorfeld hatte Städtetagspräsident Christian Ude beunruhigende Zahlen in die Öffentlichkeit gebracht: Infolge der Rezession schrumpfe die Haupteinnahmequelle der Städte und Gemeinden, die Gewerbesteuer, um "bis zu 20 Prozent". Für die gebeutelten Kommunen bedeute dies unterm Strich Ausfälle von bis zu 4 Milliarden Euro. Dabei hat Ude die Unterstützung durch das Konjunkturpaket II schon eingerechnet: Mit rund 3,5 Milliarden Euro finanziert der Bund Investitionen in kommunale Infrastruktur, also in die Renovierung von Kindergärten und Schulen ebenso wie in Straßen und neue Internetbreitbandnetze. Auf dem Papier bleibt die Haupteinnahmequelle der Städte und Gemeinden zumindest erhalten: CDU-Bundeskanzlerin Angela Merkel hat Forderungen des Wirtschaftsflügels ihrer Partei nach Abschaffung der Gewerbesteuer vor der Hauptversammlung des Deutschen Städtetages eine klare Absage erteilt. "Ich kann Ihnen zusagen, die Gewerbesteuer wird nicht abgeschafft", so Merkel am Mittwoch in Bochum. Allerdings wisse niemand, wie schnell die Wirtschaftskrise überwunden werden könne, betonte die Regierungschefin - und beschrieb damit das Dilemma vieler klammer Kommunen: Die Gewerbesteuer sprudelt nur, wenn die ortsansässigen Unternehmen auch Gewinne machen.

Vor Nettosteuerausfällen von "rund 9 Milliarden Euro" allein auf kommunaler Ebene warnt Gerd Landsberg, Hauptgeschäftsführer des mit dem Städtetag konkurrierenden Städte- und Gemeindebunds. Und wegen steigender Arbeitslosenquote kommen weitere Kosten von "bis zu 2 Milliarden Euro" auf die Städte zu, glauben Ude wie seine Vorgängerin und designierte Nachfolgerin als Städtetagspräsidentin, die Frankfurterin Roth. Die Städte und Gemeinden finanzieren die Wohnungen der Empfänger von Hartz IV.

Selbst im reichen München hat Ude deshalb bereits Anfang April eine Haushaltssperre verhängt. Der Sozialdemokrat rechnet für 2009 mit einem neuen städtischen Defizit von über 180 Millionen Euro. Hinzu kommen Altlasten, verursacht vor allem durch Steuerausfälle nach der misslungenen Gewerbesteuerreform des Jahres 2001: Die bayerische Landeshauptstadt ist noch immer mit über 2 Milliarden Euro verschuldet. "2005 waren es noch 3,4 Milliarden", macht sich Silvia Knorr, Sprecherin von Stadtkämmerer Ernst Wolowicz, Mut. Schon im laufenden Haushaltsjahr will Ude deshalb über 27 Millionen Euro einsparen, und die Bürgerinnen und Bürger werden das spüren: Die Mittel für den Gebäudeunterhalt und den Fuhrpark sollen um 5 Prozent sinken, ebenso die Personalkosten. Und beim Stadtmarketing schrumpft der Etat gleich um 10 Prozent.

Dabei leben die knapp 1,4 Millionen Münchener auf einer Insel der Glückseligen. In strukturschwachen Gegenden wie dem nördlichen Ruhrgebiet, wo mit Kohle und Stahl das industrielle Rückgrat der Kommunen verschwunden ist, besteht auf Jahrzehnte keine Aussicht auf Tilgung der Altschulden. Beispiel Oberhausen: In den letzten 40 Jahren hat die 217.000 Einwohner zählende Stadt jeden zweiten sozialversicherungspflichtigen Arbeitsplatz verloren, das waren 50.000 Jobs. SPD-Oberbürgermeister Klaus Wehling stöhnt deshalb über Altlasten von über 1,7 Milliarden Euro. Weil Gewerbesteuereinnahmen fehlen und wegen hoher Sozialausgaben kommen jedes Jahr weitere 100 Millionen hinzu - die Arbeitslosenquote in der Stadt liegt schon jetzt bei 12,5 Prozent.

Wie über 100 weitere Kommunen allein in Nordrhein-Westfalen steht Oberhausen deshalb unter Haushaltssicherung und damit faktisch unter der Kontrolle der Landesregierung in Düsseldorf. Großes Einsparpotenzial aber haben die Ministerialen nicht mehr: Die öffentlichen Gebäude sind längst marode, der Bücherbus ist abgeschafft, das letzte Freibad schließt in diesem Jahr. "Nicht einmal Auszubildende sollen wir noch einstellen dürfen", klagt Stadtsprecher Martin Berger - und kündigt eine Klage gegen die Kommunalaufsicht an. Wie Gelsenkirchens SPD-Rathauschef Frank Baranowski fordert Oberhausens OB Wehling eine "umfassende Altschuldenregelung" - also eine Entschuldung mit Unterstützung von Land und Bund.

Denn die Altschulden drücken in strukturschwachen Gebieten von Rheinland-Pfalz ebenso wie im Osten. So hat etwa Rostock aktuell 210 Millionen Euro Schulden. "Tafelsilber wie die Wasserversorgung haben wir längst verkauft, die Preise für Schwimmbäder und Busse erhöht", sagt Stadtsprecher Ulrich Kunze. Jetzt drohten Massenentlassungen: "Natürlich haben wir Angst um die Arbeitsplätze bei den Werften, in der Fährschifffahrt", sagt er. "Überall rutschen Städte und Gemeinden gerade in die nächste kommunale Finanzkrise", warnt auch der Politologe Martin Junkernheinrich, der die klammen Städte des Ruhrgebiets berät.

Eine Forderung des Städtetages ist, dass kommunale Sparkassen nicht für Milliardenverluste der Landesbanken haftbar gemacht werden sollen. Kanzlerin Merkel wich dieser Forderung am Mittwoch aus: Zwar lehnt auch sie Zwangsfusionen ab, die Sparkassen müssten aber zu ihrer Verantwortung als Miteigentümer der Landesbanken stehen. Auch in der Frage der Jobcenter enttäuschte sie die Bürgermeister: Vor den Bundestagswahlen sei keine Lösung in Sicht. Damit droht den für Langzeitarbeitslose zuständigen Arbeitsgemeinschaften von Städten und Agentur für Arbeit ausgerechnet in Zeiten von Massenentlassungen die Auflösung.

Städtetagspräsident Ude gab sich in Bochum von all den schlechten Zahlen unberührt. "Ohne die Konjunkturpakete wäre die Lage der Kommunen noch viel schlechter", sagt er - dabei erhält seine Stadt München in den kommenden drei Jahren gerade einmal 50 Millionen Euro von Bund und Land. Zunächst müsse die genaue Steuerschätzung abgewartet werden, die heute veröffentlicht werden soll. Fachleute rechnen für die kommenden vier Jahre für die Haushalte von Bund, Ländern und Gemeinden mit einem Minus von bis zu 350 Milliarden Euro. Ein großes Lamento über "Kommunen vor der Pleite" wolle er nicht anstimmen, sagt Ude - schließlich wisse man "um die Lage der Haushalte von Bund und Ländern". Insider können darüber nur lächeln. Schon bei den Verhandlungen zu den Konjunkturpaketen im Winter sei diese Linie - Cash für die Kommunen, dafür keine Hiobsbotschaften - mit Kanzlerin, Bundeskabinett und Landesregierungen abgesprochen worden. "Konjunktur", sagt einer, "ist eben auch Stimmung."

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