Frankreichs Front National: Le Pens Hoch im Norden
In der französischen Kleinstadt Hénin-Beaumont greifen die Front National und die Tochter des bisherigen Parteichefs Le Pen nach der Macht.
Eine "Wiederholung des April 2002", titelt die rechtsextreme französische Zeitung Minute. Die Rede ist von Hénin-Beaumont - 26.000-Einwohner-Städtchen unweit der belgischen Grenze und neues Versuchslabor der Front National. Am Sonntag ist dort Endrunde der Kommunalwahl. Als Alternativen gibt es die Liste der rechtsextremen Front National, die im ersten Durchgang fast 40 Prozent bekam, und den Zusammenschluss aller anderen Parteien von ganz links bis hin zur rechten Präsidentenpartei UMP hinter einem moderat-linken Bürgermeisterkandidaten. Mit dieser "republikanischen Front" wollen die anderen Parteien gemeinsam den Sieg der Rechtsextremen verhindern. Der frühere Bürgermeister, der Sozialdemokrat Gérard Dalongeville, sitzt wegen Verdachts auf Unterschlagung öffentlicher Gelder im Gefängnis, was die Wahl nötig machte.
Als "Komödie, die sich gegen 40 Prozent der Einwohner von Hénin-Beaumont" richte, bezeichnet Marine Le Pen die Strategie ihrer politischen Gegner. Die Tochter des Führers der Front National ist in Hénin-Beaumont Nummer zwei der rechtsextremen Liste. Sie bearbeitet das Terrain in der sozialdemokratischen Hochburg schon lange. 2008 schaffte sie es in die Stichwahl. Damals siegte der jetzt inhaftierte Dalongeville. Sollte Marine Le Pen es jetzt zusammen mit dem örtlichen Listenführer Steeve Briois ins Rathaus schaffen, macht sie auch innerparteilich einen Sprung nach vorn. Sie strebt die Nachfolge ihres Vaters Jean-Marie an der Parteispitze an.
Auf den Märkten der Kleinstadt in dem von Minenschließungen, Arbeitslosigkeit und Armut geprägten Gebiet ist die Front National die sichtbarste Partei. Entgegen früherer Urnengänge verstecken sich ihre Wähler nicht mehr. Exsozialdemokraten erklären heute freizügig, dass sie Front National wählen.
Unter der Ägide von Marine Le Pen hat Hénin-Beaumont die Nachfolge jener Orte im Süden angetreten, welche die Front National in den 90er-Jahren eroberte und inzwischen wieder verlor: Orange, Vitrolles, Marignane und Toulon. Auch heute argumentieren die Rechtsextremen gegen die Korruption und das angebliche "Einheitsdenken" aller anderen Parteien. Die Ermittlungen gegen Exbürgermeister Dalongeville sind Wasser auf ihre Mühlen. In den 90er-Jahren hatte die Front National mit "nationaler Identität" und radikalem Vorgehen gegen "illegale" Einwanderer geworben. Nicolas Sarkozy entlieh ihr diese Argumente. 2007 wurde er mit den Stimmen der rechtsextremen Wähler Staatspräsident. Im Gegenzug schuf er ein Ministerium für "Nationale Identität" und legte Plansolls für Abschiebungen fest. Jetzt zeigt Hénin-Beaumont, dass die Front National längst nicht tot ist. Der sozialdemokratische Exminister Pierre Moscovici hält Marine Le Pen für "gefährlicher als den Vater" und glaubt, dass sie die Partei in eine "extrem rechte Partei nach italienischem Modell" umwandelt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Müntefering und die K-Frage bei der SPD
Pistorius statt Scholz!
Lang geplantes Ende der Ampelkoalition
Seine feuchten Augen
Rentner beleidigt Habeck
Beleidigung hat Grenzen
Altersgrenze für Führerschein
Testosteron und PS
Angeblich zu „woke“ Videospiele
Gamer:innen gegen Gendergaga
Haldenwang über Wechsel in die Politik
„Ich habe mir nichts vorzuwerfen“