Krise auf dem Arbeitsmarkt: Ohne Umwege auf Hartz IV

Fast jeder Dritte rutscht nach Jobverlust auf Arbeitslosengeld II. Der DGB fordert einen erweiterten Arbeitslosengeld-I-Anspruch - und höheren Kinderzuschlag.

Besonders starke Zuwächse bei Erwerbslosen gibt es im Westen, bei Männern, Jugendlichen und Älteren. Bild: dpa

Die Wirtschafts- und Beschäftigungskrise hat trotz Kurzarbeiterregelung bereits deutliche Spuren in der Arbeitslosenversicherung und im Hartz-IV-System hinterlassen. "Wir sprechen nicht von fernen Krisenprojektionen", betonte Annelie Buntenbach, Vorstandsmitglied des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB), am Dienstag. So liege die Zahl der in der Arbeitslosenversicherung betreuten Erwerbslosen im Juni bereits um 27,9 Prozent über Vorjahresniveau. Besonders starke Zuwächse gebe es im Westen, bei Männern, Jugendlichen unter 25 Jahren und Älteren über 55 Jahren.

Mit Sorge sieht der DGB, dass immer mehr Erwerbslose direkt in den Bezug von Hartz IV rutschten. Mittlerweile sei davon fast jeder Dritte betroffen - vor allem Leiharbeiter oder befristet Beschäftigte, die keinen Anspruch auf Arbeitslosengeld I hätten. Der DGB fordert, die Rahmenfrist für das ALG I zu verlängern: Erwerbstätige sollen einen Anspruch erhalten, wenn sie in drei und nicht wie derzeit zwei Jahren für insgesamt 12 Monate Beiträge gezahlt haben.

Auch solle der Kinderzuschlag von derzeit 140 auf 200 Euro erhöht und der Wohngeldanspruch ausgeweitet werden, um durch solche vorgelagerten Maßnahmen den Bezug von Hartz IV zu vermeiden. Dem Ansinnen von Heinrich Alt, Vorstandsmitglied der Bundesagentur für Arbeit, erteilte Buntenbach eine Absage. Alt hatte vorgeschlagen, (ehemals) langjährig Beschäftigte bei den Hartz-IV-Bezügen besser zu stellen als andere Hartz-IV-Bezieher. "Das kann das gesellschaftliche Problem nicht lösen, sondern vertieft eher die Spaltung", kommentierte Buntenbach.

Hartz-IV-Beziehern drohen nach Ansicht des Gewerkschaftsbundes im Jahr 2010 auch ohne Kürzungen ihrer individuellen Regelleistungen finanzielle Einbußen. Die vom Bund zu tragenden arbeitsmarktpolitischen Hilfen, unter anderem Eingliederungsleistungen, stiegen voraussichtlich nicht einmal halb so stark an wie die Zahl der Hilfeempfänger. Der DGB schätzt, dass die Zahl der aktuell 4,9 Millionen Hartz-IV-Bezieher im nächsten Jahr um 450.000 anwachsen könnte.

Dass zwischen September 2008 und Februar 2009 die Anzahl der Aufstocker, das heißt der Personen, die trotz Job auf Hartz-IV-Leistungen angewiesen sind, um 1,3 Prozent zurückgegangen sei, bedeute keine Trendwende. Leiharbeitskräfte oder geringfügig Qualifizierte würden als Erste entlassen. Damit fallen sie aus der Aufstocker-Statistik heraus.

Buntenbach erneuerte die Forderung nach einer Anhebung der Hartz-IV-Regelsätze von derzeit 359 auf 420 Euro. "Der jetzige Regelsatz ist nicht armutsfest oder an die Inflation angepasst", erklärte sie. Die dadurch entstehenden Mehrkosten sollen unter anderem die Steuerzahler tragen. Die Gelder flössen direkt in den Konsum und leisteten so einen Beitrag zur Konjunkturankurbelung, so Buntenbach.

Auch durch die Einführung von Mindestlöhnen will der DGB neue Finanzierungsspielräume für die sozialen Sicherungssysteme erschließen. Durch den Stopp der "Subventionierung von Lohndumping" würde der Staat Milliarden sparen, die jetzt "ungerechtfertigt an die Unternehmen gehen", sagte Buntenbach. Der Niedriglohnsektor belastet die Staatskasse nach Einschätzung des DGB pro Jahr mit rund vier Milliarden Euro.

Die Bundesregierung rechnet derweil bis 2013 mit Mehrausgaben des Bundes für Arbeitslosenversicherung und Hartz IV in Höhe von rund 100 Milliarden Euro. Damit korrigierte sie ältere Berechnungen deutlich nach oben.

ANNELIE BUNTENBACH, DGB

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