Kommentar Iran-Krise: Rafsandschanis Zwischenlösung

Rafsandschani stand unter starkem Druck seitens der Machthaber und der Protestbewegung. Er entschied sich für den Mittelweg: keine Neuwahlen, aber Freilassung der Gefangenen. Doch das reicht nicht.

Es gibt in der Geschichte Augenblicke, die für das Schicksal eines Landes von entscheidender Bedeutung sein können. Seitdem bekannt wurde, dass der ehemalige Staatspräsident Haschemi Rafsandschani beim Freitagsgebet die Predigt halten würde, rätselte man im Iran und wohl auch im Ausland darüber, was der gewiefte Politiker, Pragmatiker und Machtmensch wohl sagen könnte und würde.

Würde er mutig genug sein, den Wahlbetrug anzuprangern und Neuwahlen zu fordern, das brutale Vorgehen gegen die Demonstranten verurteilen und die Freilassung der Gefangenen fordern? Oder würde er klein beigeben, als Schlichter, als Retter des Gottesstaates auftreten und die verfeindeten Fronten zur Versöhnung rufen?

All jene, die an den Protesten teilgenommen hatten, knüpften ihre Hoffnung nun an die Worte eines Mannes, der wie kein anderer im Iran verhasst ist, der jedoch mächtig genug wäre, zu sagen, was gesagt werden muss, und damit in der Lage wäre, das Blatt zugunsten der demokratischen Bewegung zu wenden.

Rafsandschani stand unter starkem Druck, sowohl seitens der Machthaber wie auch seitens der Protestbewegung. Die gesamte rechte Presse warnte ihn vor den Folgen einer möglichen Stellungnahme zugunsten der Opposition, ihm und seiner Familie wurde mit gerichtlicher Verfolgung gedroht. Warnungen gab es sicher auch hinter den Kulissen. Doch hätte er zu allem, was in den letzten Wochen vorgefallen war, geschwiegen, hätte er seine Autorität gänzlich verloren.

Er fand eine Zwischenlösung, sprach von einer tiefen Staatskrise, kritisierte das Vorgehen gegen die Demonstranten, indirekt auch Revolutionsführer Ali Chamenei, und forderte die Freilassung der Gefangenen, verzichtete jedoch auf die Forderung nach Wiederholung der Wahlen.

Insgesamt lässt sich von einem kleinen Sieg der Opposition sprechen. Denn nicht nur Rafsandschanis Äußerungen, sondern auch die Tatsache, dass wieder hunderttausende Demonstranten trotz massiven Einsatzes von Ordnungskräften wieder auf die Straße gingen, machten deutlich, dass der Widerstand im Iran weiterlebt und dass der Krise nicht mit Gewalt beizukommen ist.

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