Thüringens SPD-Chef Matschie: Nichts als nett

Für Christoph Matschie geht es bei der Wahl am 30. August um alles. Er kann einen historischen Sieg für die SPD erringen - oder seine politische Karriere begraben. Aber ihm fehlt etwas.

Matschie geht auf jedermann, auf Sechsjährige und Stadtwerkedirektoren, mit der gleichen offenen Freundlichkeit zu. : ap

Die SPD hat im Zentrum von Erfurt eine kleine Bühne aufgebaut, um ihre Kampagne für den Mindestlohn zu starten. Als ein Redner Christoph Matschie als "zukünftigen Ministerpräsidenten Thüringens" vorstellt, lächelt der ein bisschen verlegen.

Der SPD-Bürgermeister von Erfurt sagt, dass es "schön ist, dass so viele den Weg hierher gefunden haben". Dies ist angesichts von einer Handvoll Genossen ein gewagter Satz. Dann sagt Matschie, dass Löhne von 3,50 Euro "krasse Ausbeutungen" sind. Für ihn ist das eine polemische Tonlage.

Er besucht an diesem Tag Stadtwerke und Kitas, Ferienlager und Betriebe. Er trägt, obwohl es drückend heiß ist, einen schwarzen Anzug, roten Schlips, ein weißes Hemd. Er will offiziell wirken, wie ein Ministerpräsident. Er schaut sein Gegenüber meist direkt an und hört zu. Oft nickt er mit dem Kopf und sagt bestätigend "Hm".

In einem Ferienlager soll er mit Kindern reden. Kinder sollen Politiker auf solchen Touren vermenschlichen. Weil das so offensichtlich ist, sind Kindertreffen oft peinlich. Bei Matschie nicht. Vielleicht weil man ihn nicht vermenschlichen muss. Er ist sowieso nett. Er tätschelt auch keine Kinderköpfe, sondern hört, wie immer, zu. Die Kinder fragen nach Lieblingsfilm und -land, Schulnoten und Sport. Eindruck macht Matschie nur damit, dass er fünf Geschwister hat. Oh, sagen die Kinder.

In einer Kita in Nordthüringen tischen die Erzieherinnen selbstgebackenen Kuchen auf und klagen, dass es noch nie so wenig neu angemeldete Kinder gab wie 2009. Matschie legt die Stirn in Falten und schaut ernst. Thüringen verliert jedes Jahr 80.000 Einwohner, wegen der Demografie und der Abwanderung. Das ist ein zentrales Problem, für Kitas, Schulen, Stadtwerke.

Die Leiterin, die kurz vor der Rente steht, klagt, Matschie hört geduldig zu. "Wir machen derzeit ein Kneipp-Konzept in der Kita", sagt die Leiterin und versichert, dass dies Spaß macht. Matschie lächelt und sagt: "Den Kindern auch?" Das könnte böse klingen, angesichts des überalterten Erzieherinnenteams - keine ist unter 50. Doch Matschie lässt sein Jungslachen folgen, und alles ist gut.

Matschie geht auf jedermann, auf Sechsjährige und Stadtwerkedirektoren, mit der gleichen offenen Freundlichkeit zu. Nur als er einem Arbeiter mal den Arm auf die Schulter legt, ist das eher ein Versuch, Volksnähe zu demonstrieren. Die Kumpelpose steht ihm nicht.

Man kann die Geschichte von Christoph Matschie auf zwei Arten erzählen. Eine handelt von einem ostdeutschen SPDler, der 48 Jahre alt ist, aber noch immer wirkt wie Ende dreißig. Wie ein Nachwuchspolitiker. Aber das ist er nicht mehr. Er hat 2004 in Thüringen katastrophal die Wahl verloren. In Berlin war er Staatssekretär, ohne nachhaltigen Eindruck zu machen. Er ist kein profilierter Flügelmann, er ist nicht rechts, nicht links. Er ist einfach nett, kantenlos, mittig. Und diese Wahl ist seine letzte Chance.

Oder man kann die Geschichte erzählen, dass die SPD in Thüringen die richtigen Themen hat. Sie will mehr egalitäres Lernen, höhere Löhne und mehr Ökoenergie. Und Matschie hat den zähen Kampf gegen seinen Partei-Konkurrenten Richard Dewes gewonnen. Wenn er nun Dieter Althaus stürzt, wäre er der erste SPDler seit zehn Jahren, der in einem Flächenland einen CDU-Amtsinhaber ablöst.

Das zentrale Problem der SPD in Thüringen ist ihr Verhältnis zur Linkspartei. Matschie will mit ihr regieren, aber nur wenn die SPD stärker und er Ministerpräsident wird. Doch danach sieht es den Umfragen zufolge nicht aus.

Diesen verdrucksten Ja- aber-Kurs versteht nur, wer die innere Verfassung der SPD in Thüringen kennt. Viele Genossen lehnen die Ex-SED schroff ab - ebenso viele halten es für falsch, Rot-Rot auszuschließen, zumal die Linkspartei der SPD bei Bildung und Arbeit näher steht als die CDU. "Rot-Rot nur unter SPD-Führung" ist der Kompromiss der SPD mit sich selbst. Von außen wirkt es allerdings wenig plausibel, dass die SPD die Linkspartei für untauglich hält, einen Ministerpräsidenten zu stellen, aber mit ihr regieren will.

So hält sich die SPD fast alles offen. Und wer sie am 30. August wählt, weiß nicht, ob er damit CDU oder Linkspartei an die Regierung verhilft. Ein riskantes Spiel. Und vielleicht hat die SPD in Thüringen ein ähnliches Problem wie im Bund. Sie hat einen netten Kandidaten und die richtige Themen. Doch irgendetwas fehlt.

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