Lebensmittel: Brüchige Idylle

Rügenwalder Mühle ist Deutschlands größte Wurstfabrik. Die Firma pflegt das Bild eines Handwerksbetriebes, bezieht ihr Fleisch aber aus Massentierhaltung.

Greenpeace glaubt dem idyllischen Bild von Rügenwalder nicht recht - und gestaltete eine eigene Anzeige. Bild: "Keine Anzeige" / Greenpeace Magazin 4.09 (Ausschnitt)

Es ist ein ländliches Idyll, in dem sich ein Teil der Belegschaft der Wurstfabrik Rügenwalder Mühle im niedersächsischen Bad Zwischenahn da versammelt hat: Die Wiese so saftig grün, wie sie saftig-grüner nicht sein kann, gelbe Tupfer von Löwenzahn, Gräser, die sich sanft im Wind wiegen, im Hintergrund eine backsteinerne Mühle. Christian Rauffus steht da, der Chef von Rügenwalder, sein Marketingleiter, der Vertriebschef, ein Fleischer-Lehrling und Bootsmann, der Hund vom Chef. Muss schon schön sein, Teil einer Wurstfabrik zu sein. So familiär und nett. Dann sieht man einen rothaarigen Bauernjungen vom "Hof Anne Preut" mit einem Ferkelchen auf dem Arm. Da kommt das Fleisch also her, wie niedlich!

Doch die Idylle trügt. Die Mühle gibt es nicht, die Wiese gibt es nur auf der Internetseite des Unternehmens. Mag sein, dass der Chef-Hund Bootsmann heißt, sehr wahrscheinlich, dass es auch die Mitarbeiter gibt. Darüber hinaus aber ist wohl ziemlich vieles von dem, was Rügenwalder Mühle gerne über sich verbreitet, Teil eines gut gepflegten Mythos.

Die Rubrik "Keine Anzeige" des Greenpeace-Magazins brachte es ans Licht, Recherchen der Verbraucherschutzorganisation Foodwatch gehen in die selbe Richtung. Es ist nicht verboten, was Rügenwalder Mühle betreibt, aber es dürfte haarscharf an der Grenze zur Verbrauchertäuschung liegen.

Rügenwalder Mühle heißt Deutschlands umsatzstärkste Wurstfabrik. Der Name geht zurück auf die pommerschen Wurzeln der Firma, die vor 175 Jahren in Rügenwalde gegründet wurde.

Nach dem Zweiten Weltkrieg verschlug es die Nachfahren des Gründers Carl Müller ins Ammerland, dort wurde die Firma wieder aufgebaut. Heute führt sie Christian Rauffus in der sechsten Generation.

Bekanntestes Produkt ist die streichfähige Teewurst in zartrosa. Weitere Waren wie Leberwurst, der Kochschinken "Mühlen Schinken" und "Mühlen Mett" werden in Plastikdosen angeboten.

2008 hatte Rügenwalder Mühle 360 Mitarbeiter und machte 148 Millionen Euro Umsatz.

Das Magazin verballhornt auf seiner letzten Seite immer die Werbeanzeige eines bekannten Unternehmens. Im Heft 4/09 war Rügenwalder aus dem niedersächsischen Bad Zwischenahn an der Reihe. Laut Marktforschern mit 148 Millionen Euro Jahresumsatz Deutschlands umsatzstärkste Wurstmacherei. Seit dem Frühjahr wirbt das Unternehmen mit dem TV-Multi Jörg Pilawa. Der lobt, in ein Leberwurstbrot beißend, Rügenwalder verzichte jetzt auf Geschmacksverstärker, auf Farbstoffe, auf Gluten und Lactose. Viermal ohne also, was gut klingt, fast wie Natur pur. Das Greenpeace-Magazin machte allerdings ein "viermal mit" daraus: Die Wurst nämlich enthalte "Fleisch aus Massentierhaltung", Pökelsalz Natriumnitrit (E 250) und Zucker, außerdem sei Gensoja im Tierfutter.

Alles nicht verboten, aber doch einigermaßen weit entfernt von dem Bild, das Rügenwalders Marketingstrategen von ihrer Wurstfabrik zeichnen. Chef Rauffus setzt auf Tradition und schwelgt auf der Internetseite von den Rezepten der Vorfahren, die diese sogar über Flucht und Vertreibung nach dem Zweiten Weltkrieg aus Pommern bis nach Zwischenahn retteten. Man blättert durchs fiktive ledergebundene Familienalbum, sieht die - vermutlich von der Großmutter - handgeschriebenen Zutatenlisten und denkt sich: Schön, dass es noch so einen netten Metzger gibt, der auf sein handwerkliches Können setzt. Und, ja, "wir sind Fleischer, keine Chemiker", wird Betriebsleiter Thomas Wittkowski zitiert, auch er habe, heißt es, "den Fleischerberuf von der Pike auf gelernt". Chef Rauffus ergänzt und spricht: "Wurst machen ist Charaktersache." Dann bekennt er sich als Tierfreund: "Auch wenn man in großer Stückzahl Tiere hält, sollte sicher gestellt sein, dass sie die Zeit, die sie auf dieser Welt leben, anständig behandelt werden."

Der Vorwurf Massentierhaltung wiegt da schwer. Aber er ist belegbar - sogar mit Hilfe von Rügenwalder Mühle. Der Bauernjunge mit dem Ferkel vom "Hof Anne Preut" auf der Webseite steht für eine Transparenz, die alsbald ins Leere führt: Der an der Herkunft seiner Wurstwaren interessierte Kunde kann im Internet unter www.ruegenwalder.de nämlich nachschauen, woher die Ferkel stammen. Für einen zu definierenden Lieferzeitraum erscheint eine Deutschlandkarte mit vielen roten Fähnchen. Sie markieren die Orte mit Schweinebauern, die an Rügenwalder geliefert haben. Am Ortsschild ist dann aber Schluss, man will nicht zu viel verraten - "aus Datenschutzgründen". Für die Region Südoldenburg kommt man denn auch tatsächlich nicht weiter, denn dort sind sehr viele Mastbetriebe. Unmöglich, zufällig den zu finden, der sein Fleisch an einen der acht großen Schlachtbetriebe liefert, von denen Rügenwalder das Fleisch bezieht. Ruft man beim "Hof Anne Preut" an, erfährt man von der gleichnamigen Besitzerin wenigstens, dass die Familie von ihren Schweinen lebe. Wie viele sie in ihrem Stall hat, will sie aber nicht verraten: "Einige." Auf die Frage, ob man sich den Hof mal ansehen dürfe, sagt sie: "Nein." Man ist verschwiegen in der Agrarindustrie.

Aber es gibt ja Ostdeutschland. Auch von da kommt Fleisch in die Wurst, und da ist alles sehr viel einfacher: An einigen der auf der Lieferantenkarte eingezeichneten Orte gibt es nur jeweils einen Mastbetrieb - darunter sind laut Greenpeace-Recherchen Großbetriebe mit bis zu 20.000 Ferkeln und 15.000 Mastschweinen. Sie gehören zu den größten Agrarindustriellen der Branche, zum Teil haben sie wegen Umweltauflagen ihre niederländische Heimat gen Ostdeutschland verlassen.

Zur Herkunft des Fleisches will sich bei Rügenwalder Mühle niemand äußern; zur Werbekampagne mit Pilawa schickt eine Münchner PR-Agentur wenigstens eine alte Pressemitteilung mit. Da rühmt Chef Rauffus die Kampagne als Zeichen von Transparenz und Sicherheit für den Verbraucher, der könne seither noch unbedenklicher zugreifen. Foodwatch allerdings sagt, dass ohnehin die meisten Hersteller von Supermarkt-Kochschinken auf Farbstoffe und Geschmacksverstärker verzichteten. Und auch der Verzicht auf Allergene wie Lactose und Gluten suggeriere mehr, als er tatsächlich bedeute. Rügenwalder Mühle sei eine "ganz normale Wurstfabrik".

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