Kommentar Afghanistan: Mitten im Krieg
Deutsche Wehrpolitiker äußerten sich gerne hochnäsig über das Vorgehen der US-Militärs in Afghanistan. Jetzt kann man sich nicht mehr hinter den Verbündeten verstecken.
A lles ganz anders sollte sie machen, die Bundeswehr in Afghanistan. Wann immer in Deutschland Zweifel an Sinn und Form des deutschen Einsatzes am Hindukusch aufkamen, ließen sich deutsche Wehrpolitiker gerne hochnäsig über das Vorgehen der US-Militärs aus. Sich selbst pries man als Beispiel dafür, wie die Nato ohne überzogene Gewalt erfolgreich sein könnte.
Verlogen war dies schon immer. Schließlich hatte man sich für die Bundeswehr gezielt den relativ ruhigen Norden ausgesucht, während im Süden vor allem Amerikaner in offenen Gefechten mit Taliban standen. Spätestens seit gestern sollte klar sein, dass solche Arroganz gegenüber den US-Streitkräften unangebracht ist.
Die Bundeswehr hat leichtfertig die Bombardierung von zwei Tanklastzügen angefordert, dabei die Tötung möglichst vieler vermeintlicher oder tatsächlicher bewaffneter Gegner angestrebt und damit auch den Tod Unbeteiligter in Kauf genommen. Anschließend berichtete das Bundesverteidigungsministerium mit Genugtuung von 50 Toten - und verklärte den Luftangriff als "erfolgreichen Einsatz gegen Aufständische". Je mehr tote Gegner, so offenbar die Logik, desto näher ist man seinen hehren Zielen in Afghanistan. Leichenzählen für die Erfolgsbilanz.
Die Luftattacke von Freitagfrüh war nicht nur die größte unter deutscher Verantwortung - im Gegensatz zu den anderen bekannt gewordenen Angriffen auf Kombattanten ging es in diesem Fall auch nicht darum, Gewalt gegen Bundeswehrsoldaten oder gegen die afghanische Bevölkerung abzuwehren oder zu verhindern; und es gab, anders als bei den bisherigen Tötungen an Checkpoints, keinerlei Druck, innerhalb kurzer Zeit Entscheidungen zu treffen.
Seit Freitag hat der Einsatz der deutschen Streitkräfte eine neue Dimension. Hinter den Verbündeten kann man sich jetzt nicht mehr verstecken. Die reale Situation der Bundeswehr hat sich vom Paralleluniversum heimischer Wehrpolitiker endgültig abgekoppelt.
Deutschland steht mitten im Krieg.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Müntefering und die K-Frage bei der SPD
Pistorius statt Scholz!
Lang geplantes Ende der Ampelkoalition
Seine feuchten Augen
Rentner beleidigt Habeck
Beleidigung hat Grenzen
Altersgrenze für Führerschein
Testosteron und PS
Angeblich zu „woke“ Videospiele
Gamer:innen gegen Gendergaga
Haldenwang über Wechsel in die Politik
„Ich habe mir nichts vorzuwerfen“