Milchkrise: Die Milch muss weg

Während EU-Agrarkommissarin Mariann Fischer-Boel in Straßburg ihre Molkerei-Politik erläutert, gießen die Bauern in Norddeutschland die Milch auf die Felder: Sie protestieren damit gegen die ruinösen Preise.

Norddeutsche Milch wird aus Protest von den Bauern aufs Feld gegossen. Bild: dpa

In Visselhövede erklimmt am Donnerstagmorgen Otmar Böhling seinen Traktor und lässt sich in den Fahrersitz plumpsen. Und in Straßburg erhebt sich die Dänin Mariann Fischer-Boel, dunkelgrauer Rock und hellgraue Jacke, an ihrem Tischchen. Um exakt 9.05 Uhr hat die EU-Agrarkommissarin das Platzmikrofon angeschaltet. Und als Böhling den Zündschlüssel dreht, hat sie die Präsidentin und die "honourable members" schon längst begrüßt.

Fischer-Boel stellt ihr Milchkonzept vor, es ist komplex, "important and serious", weshalb sie charmant um Nachsicht bittet, das Thema nicht in den vorgesehen drei Minuten abhandeln zu können. Ein Kernpunkt ihres Konzepts sind die Vorruhestandsregelungen, eine kleine Belohnung für die Milchbauern, die ihre Höfe aufgeben also. Dann hört das ewige Jammern über die ruinösen Preise endlich auf.

Eine gute Stunde Fahrt von zu Hause sowie 25 Kilometer Tropfspur - Böhlings Trecker ist schon länger unterwegs, mit Güllefass hintendran. Mit sechs weiteren Bauern wird er jetzt den Acker von Matthias Warnke düngen. Mit 70.000 Litern Milch. Aus Protest.

Seit März kauft die EU wieder Milch, die mit Exportbeihilfen ins Ausland geschafft wird.

Ins Lager gekommen sind seither 281.533 t Magermilchpulver, davon 66.613 t aus Deutschland. Keine Angaben werden zu Vollmilchpulver gemacht.

Im gleichen Zeitraum sind 83.222 t Butter angehäuft worden.

Die Kosten des Programms beliefen sich im Zeitraum März bis September auf rund 600 Millionen Euro, die gleiche Summe wurde für den Rest des Jahres bewilligt.

Auf den Acker gebracht wurden in Visselhövede rund 70.000 Liter Milch. Das entlastet laut Milchbauern die öffentliche Hand um 15.000 Euro.

Für die gleiche Menge hätten sie von den Molkereien etwa 14.000 Euro bekommen. Die Produktion hat sie umgerechnet fast 28.000 Euro gekostet: das Doppelte. Aber einen Gewinner gibt es doch bei dieser Aktion des Bundes deutscher Milchviehhalter. "Das spart dem Steuerzahler 15.000 Euro", sagt Böhling - natürlich nur, wenn man annimmt, dass die EU auch diese Menge aufgekauft hätte, was wahrscheinlich ist. Aber nicht eingerechnet sind die Subventionen, mit deren Hilfe das Magermilchpulver dann ins Ausland vertickt wird, etwa nach Afrika, was fast zwangsläufig folgt.

Dort "gefährdet die katastrophale Milch-Politik der EU die Existenz der Milchbauern", darauf hat Monika Wiggerthale kürzlich hingewiesen. Sie ist Agrar-Expertin der Entwicklungshilfe-Organisation Oxfam. Fischer-Boel fährt ungerührt in ihrer Rede fort: "Der Kommission", fordert sie nun, "muss es künftig möglich sein, ohne vorherige Zustimmung der Mitgliedstaaten Produkte aufzukaufen und zwischenzulagern".

Es rumpelt gewaltig, als Böhling den Traktor nach links schwenkt, ein Glück gibts einen Haltegriff für den Beifahrer. Die erste Runde ist geschafft, der Tank noch nicht leer. Und die Milch muss weg. Diesmal fährt er etwas hinter den Kollegen. Der weiße Sprühregen glänzt wie ein zu dichter Nebel in der Vormittagssonne.

In Eisleben, wo die Agrarminister tagen, profiliert sich der Niedersachse Hans-Heinrich Ehlen (CDU) als Trittbrettfahrer von Fischer-Boel, die Vorruhestandsregelung findet er prima. Klingt wie: Hauptsache weg mit den kleinen Krautern. Und allmählich bekommt der Geruch auf dem Feld eine säuerliche Note, die an Macht gewinnt, sich in den Mund legt: ein Geschmack, als wäre ein Würgreflex gerade noch einmal besiegt worden. Es ist ja auch zum Kotzen. Erspartes? Längst verbraucht. Die Produktion der Milch - nur durch Kredite möglich. Investiert wird nicht mehr. Die Grundbücher sind voll - jeder Hektar eine Hypothek. Manche Bank will schon die Sparbücher der Kinder als Sicherheit, wird erzählt. Das ist jetzt das letzte Mal, den Satz haben schon einige gehört. Die Investoren stehen Schlange. Im Oktober, gleich nach der Wahl, so die Sorge, beginnt der große Ausverkauf.

"Den Bios gehts nicht einen Deut besser", sagt Böhling. Stimmt: Die bekommen 30 Cent pro Liter - bei 50 liegen die Kosten. In Thedinghausen verschenkt Familie Böse-Hartje deshalb ihre Bio-Milch. "Wir haben ein großes Interesse daran, die an Verbraucher weiterzugeben", sagt Johanna Böse-Hartje, "die wird kostenlos verteilt", nur Behälter muss jeder mitbringen. "Wir wollen die nicht wegkippen", sagt sie. Aber weg muss sie.

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