Mitbestimmung: Bremen wählt die Jugend

Schon 16-Jährige dürfen in Bremen künftig den Landtag wählen: Ein entsprechendes Gesetz hat jetzt die Bürgerschaft verabschiedet. Für den Innensenator ist das Land damit "Vorreiter"

Soll in Bremen möglich werden: Unter-18-Jähriger darf wählen. Bild: dpa

Es geht ums Staatsrecht. Um die Frage: Wer ist das Volk? Und: Braucht es eine Nation? Und das ausgerechnet im verschwindend kleinen Bremen, im Halbtagsparlament der Bürgerschaft. Ein reichlich großes Paar Pantoffeln, könnte man denken - oder gar befürchten, wie die CDU-Abgeordnete Sibylle Winther, dass hier "eine Aushöhlung des Wahlrechts" die Gestalt eines "dicken Bretts" annimmt, "das unser Gesamtverfassungsgefüge irritieren könnte".

Ein Brett in der Verfassung - das wäre wirklich irritierend. Aber die meisten Bremer Abgeordneten hatten Metaphern und Sachverhalte besser im Griff. Nach entspannter, aber unterhaltsamer Debatte hat die rot-grüne Mehrheit am Donnerstag in erster Lesung ein neues Wahlgesetz verabschiedet. Bürgern mit ausländischem Pass die Mitbestimmung zu ermöglichen, musste vertagt werden: Dieses Anliegen verpackte man, mit wenig Aussicht auf Erfolg, in zwei Bundesratsinitiativen. Denn dafür müsste das Grundgesetz geändert werden. Das nämlich stellt noch immer einen Zusammenhang her zwischen der Nationalität und dem Volk als Souverän - und orientiert sich dafür an Carl Schmitt und den Reichsgrenzen von 1937. Immerhin aber ist in Bremen künftig 16-Jährigen erlaubt, bei der Zusammensetzung des Landtags mit zu stimmen. Die Möglichkeit, zu kandidieren, bleibt dagegen an die Volljährigkeit gekoppelt.

Das ist das griffigste Ergebnis der zweiten bremischen Wahlrechtsreform binnen knapp drei Jahren. Schon im Dezember 2006 hatte die damalige SPD-CDU-Koalition den von ihr zuvor bekämpften Entwurf der Initiative "Mehr Demokratie" ohne Änderungen adoptiert. Nur dadurch nämlich ließ sich ein Volksentscheid vermeiden, dessen Ergebnis nachträglich kaum hätte verändert werden können. Zudem hatten Union wie auch Sozialdemokraten vor, die Fünfprozenthürde für Bremerhavens Stadtverordnetenversammlung wieder einzuführen.

Zwei Bundesratsinitiativen zum Wahlrecht hat die Bremische Bürgerschaft neben der Verabschiedung des neuen Gesetzes auf den Weg gebracht: Der Senat wird aufgefordert in der Länderkammer für die

Einführung eines Wahlrechts für EU-Bürger für Landtagswahlen oder für die Wahl zur Bürgerschaft im Rahmen einer Bremer Klausel zu werben; zudem soll er auf die

Einführung eines Kommunalwahlrechts für Drittstaatenangehörige hinwirken

Zu ändern wäre dafür Artikel 28 des Grundgesetzes

Pläne, die auch unter neuen Regierungsfarben beibehalten worden waren - bis ihnen im Sommer der Staatsgerichtshof den Garaus bereitete. Der muss nun noch zur kniffligen, wenn auch unpopulären Frage der Sitzverteilung sprechen: Wie die auszusehen hat, wenn es möglich ist, vier Stimmen auf diverse Kandidaten zu verteilen oder auch einem einzelnen Kandidaten zuzusprechen. Darüber nämlich herrscht maximale Uneinigkeit unter den konsultierten Staatrechtslehrern.

Insofern konnte Innensenator Ulrich Mäurer (SPD) resümieren, dass sich Bremen nun "als Vorreiter" in Wahlrechtsangelegenheiten profiliert. Denn in keinem anderen Bundesland dürfen Bürger vor dem 19. Lebensjahr wählen - außer auf kommunaler Ebene. Dabei, sagt der Grüne Hermann Kuhn, "sind es die jungen Menschen, die unsere Entscheidungen abzuarbeiten haben". Deshalb müssten sie "so früh wie möglich" ein Recht auf Mitbestimmung erhalten.

Nur wann ist so früh wie möglich? Die entwicklungsphysiologischen Vorstellungen der Union sind entschieden andere als jene von Rot-Grün, während die FDP diesbezüglich eine Aufsplittung in kommunale und Landes-Reife präferiert: Alles andere, so die Argumentation, weiche vom Bundeswahlrecht und den Ländergesetzen ab. Letztere allerdings sind, was die Frage der Wählbarkeit angeht, auch nicht harmonisiert.

"Die Vorstellung, es gäbe ein Reife-Gen, das mit Vollendung des 18. Lebensjahrs plötzlich Botenstoffe freisetzt", ironisierte Björn Tschöpe (SPD) entsprechende Einwände, "finde ich nicht einleuchtend". Schließlich seien ihm "selbst in diesem Haus deutlich ältere Menschen begegnet, an deren Reife ich zweifle" - wobei sein Blick, möchte man annehmen, über die Reihen auch der Union hinaus in den hintersten Winkel ging: Dort sitzt der 55-jährige Siegfried Tittmann, der als DVU-Kandidat mit Bremerhavener Stimmen ein Mandat errungen hat. Wer mit 16 Jahren das Recht habe, Buddhist zu werden - "was ich", so Tschöpe, "für eine exotische Entscheidung hielte" - der solle doch "auch die nicht minder exotische Entscheidung fällen dürfen, die FDP in den Landtag zu wählen". Vielleicht bewegt er die Liberalen ja damit zur Zustimmung in zweiter und dritter Lesung.

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